Siegerehrung im Wipertihof in Quedlinburg
Ende August war es für uns zum zweiten Mal soweit. Die Deutschlandfahrt mit Zielort Quedlinburg im Harz stand an. Wir fühlen uns immer noch als Frischlinge. Was hatten wir im Vorfeld nicht alles an Legenden gehört. Die Raser gewinnen immer. Warum haben die noch einen Führerschein? Die Ehrgeizigen fahren schon eine Woche vorher los ,schauen sich alles schon mal an und machen sich Notizen . . . So entschieden wir, diesmal auch ein wenig früher loszufahren, verstauten das Motorrad im Wohnwagen und fuhren mit Tempo 90 nach Thale auf einen idyllischen Campingplatz.
Die Unterlagen für die Deutschlandfahrt hatten wir kurz zuvor erhalten und mehr oder weniger eifrig studiert. Es galt, wie jedes Jahr zwölf potentielle Hauptkontrollen anzufahren, die alle drei zugeordnete Nebenkontrollen haben, wovon die dritte Kontrolle immer unbekannt ist. Auf einer Landkarte tüfteln die Strategen unter uns einen Plan aus, wie viele Kontrollen man wo und mit welchen Nebenkontrollen in der vorgegeben Zeit ansteuern kann. In der Theorie ist alles denkbar, bis man dann die Straßen und das örtliche Wetter antrifft. Baustellen, Bahnschranken, leere Tanks, Hungergefühle, spontane Urinabgaben sorgen immer wieder für eine Änderung des Plans. Jedenfalls bei uns.
Da es mal wieder sehr warm war, 2018 ein Garantiepunkt, fielen ausschweifende Besichtigungen und Vorbereitungen aufgrund von Schweißattacken bei uns einfach aus. So fuhren wir erstmal in der Nähe zum Hexentanzplatz (leider hatte ich meinen Besen vergessen) und zur Teufelsmauer. Das passte zu unserem höllischen Temperament. Teufelsbraten und Beelzebub auf Deutschlandfahrt.
Da es im Harz sehr viel Bergbau und somit Gruben gibt, wollte ich wenigstens eine davon besichtigen, und bekanntlich ist es Untertage auch erstmal kühler. Die nächste erreichbare Grube war Glasebach, und wir fuhren ein, der Hölle wieder ein Stück näher. Ein 80-jähriger ehemaliger Bergmann erzählte mit Leidenschaft und Ausdauer alles, was er wusste. Ich versuchte mir Eckdaten zu merken, wie den Durchmesser des Wasserrades, Datum des Grubenunglücks, die Namen der abgebauten Mineralien. Aber Wolfgang hatte Fragen auf einem unauffälligen Schild außerhalb der Grube entdeckt und wollte ganz was Anderes wissen, wie wir einen Tag später feststellten. Wieder an der Erdoberfläche angekommen, reichte es knapp für eine nächtliche Visite von Quedlinburg.
Es gab noch ein paar Gewitter und einen angenehmen Temperatursturz. Zurück im Wohnwagen sagte ich: „I have a dream" . . . am Freitag fünf bis sechs Hauptkontrollen und am Samstag vier". Träum weiter . . .
Guter Dinge starteten wir an HK 6 bei Gerd Michael. Wir sahen nur noch die Rücklichter einiger Mitstreiter. Der Meister händigte uns die Fragen aus und mein Mann machte sich an die Planung. Schließlich erfuhren wir erst jetzt, wo die Nebenkontrolle drei liegt. Alles machbar, sagte er.
Die drei Fragen der Nebenkontrolle eins erwiesen sich nach einigem Brillenputzen und verwirrtem wo steht das? als lösbar.
Dann ging es los zum Traditionsbahnbetrieb Stassfuhrt. Unser Handynavi schlug eine möglichst kurze Route vor. Kurz war sie wohl auch, aber wahrscheinlich zeitlich die längste Route des Tages. Wir landeten auf einem durch irgendetwas aufgeweichten Feldweg. Dass so ein kleines Gewitter so riesige Sümpfe hinterlassen kann, war echt böse. Das Motorrad geriet ins Schleudern und ich wurde zum freiwilligen Fußgänger. Besser war's, denn ich musste durch Anschieben das Motorrad zur Weiterfahrt motivieren. Irgendwann kamen wir dann doch wieder auf eine asphaltierte Straße und an einer merkwürdigen Loksammlung an. Ein paar einheimische Arbeiter wirkten extrem belustigt. Sie wiesen darauf hin, dass alle Loks bewegt wurden und vorher woanders standen. Das bewirkte eine eigene Interpretation der Frage, wie viele Räder hat die Lok „am" rechten Torflügel. Die Arbeiter bemerkten, die Lok, die jetzt links steht, stand vorher rechts und da stand jetzt keine Lok mehr mit Fender. Was ich übersah, war ,dass Wolfgang die Lok „auf der Tür drauf" meinte. Sie war dort als Miniatur abgebildet. Die Lok „am" rechten Torflügel verortete ich daneben. Und die wurde ja verschoben. So gab es unterschiedliche Realitäten und Wahrnehmungen bei einigen Leuten. Die Frage beantworteten wir falsch, da die echte Lok doppelt so viele Räder besaß, wie die abgebildete.
Wir zogen von dannen und landeten vor einem riesigen Loch, welches ein böser Bagger in die schöne Straße gebaggert hatte. Den Graben links und rechts konnten wir nicht nutzen und mussten daher einen Umweg fahren. Unsere Zeitplanung erwies sich jetzt schon als tückisch.
Wir fuhren die unbekannte Nebenkontrolle am Harz-Ring an und machten uns daran, die Fragen abzuschreiben. Ein freundlicher Herr wollte uns behilflich sein, indem er uns aufklärte, dass die Angaben auf dem Schild des Künstlers unwahr sind. „Das war doch ein Jahr früher". Mittlerweile wussten wir jedoch, dass Wolfgang „alternative Fakten" nicht zulässt und so schrieben wir die „fakenews" auf unseren Merkzettel. Das war auch gut so.
Wir fuhren HK 7 an und ließen uns auf neue Fragen ein. Die waren lösbar, auch wenn man relativ weit laufen und suchen musste, um das Schild mit der richtigen Antwort zu finden. Ich weiß, dass ich irgendwo Dagmar getroffen habe, die mir Gummibärchen hinterher schmiss (Kamelle!). Es war jedoch extrem stürmisch an jenem Tag und ich hatte Sand in den Augen. Daher weiß ich nicht mehr, ob es HK 7 oder HK 8 war. Die Gummibärchen fand ich später im Wohnwagen wieder ¬ sehr viel später.
Unterwegs traf man immer mal wieder Mitstreiter, Kontrahenten ,Mitleidende oder je nachdem, welche Rolle man gerne einnehmen wollte. Es wurde flüchtig gegrüßt, gegrinst, abgenickt und weiter gefahren, schließlich hatte man ja keine Zeit zu verlieren. Die unbekannte Nebenkontrolle drei von HK 8 schickte uns zum Kyffhäuserdenkmal. Das nutzten wir, um noch ein Foto für unsere Tourenzielfahrt zu machen. Es stand auf der Liste (wenn ich schon mal da bin). Schneller wurden wir dadurch allerdings nicht.
An HK 10 begrüßte uns Horst O. Das weiß ich deswegen noch, weil er der Einzige war, der überaus gründlich unseren Kilometerstand persönlich abschrieb und gewissenhaft mögliche Täuschungsversuche kontrollierte. Überall sonst durften wir den Zettel selber ausfüllen. Bei der Lösung der Aufgaben der Nebenkontrollen stießen wir an der Grenzlandschaft Sorge noch auf alte Bekannte vom LVRR. Michael und Claudia hatten ihren Job schon erledigt und daher Zeit für ein Schwätzchen. Das muss auch mal sein.
Wir begaben uns nun zu unserer geplanten Nachtkontrolle zur HK 11. Da mussten wir erstmal alle Unterlagen abgeben. Weitere Vorbereitungen hätten wir dann auswendig erledigen müssen. Wir blieben noch zum Essen und fuhren wieder heim zum Wohnwagen, wo wir uns matt danieder legten.
Am nächsten Morgen holten wir unsere Unterlagen und neue Fragen bei HK 11 wieder ab. Mein Mann erklärte, wir würden nur zwei HKs mit allen Nebenkontrollen absolvieren und das locker und entspannt schaffen. Ich wär ja so gern noch die Hängebrücke an der Rappbodetalsperre entlang gelaufen. Mein Mann plante, mich dort kurz auszusetzen. Wir ahnten nicht, dass der Harz anscheinend einen Bahnschrankendauertest an jenem Morgen angesetzt hatte. Vielleicht waren sie auch frisch geputzt und sollten vorgeführt werden. Wir standen und standen und dabei kam noch nicht mal eine Schmalspurbahn vorbei, sondern nur ein Bummelzug.
Unsere erste Nebenkontrolle war die KZ-Gedenkstätte Dora Mittelbau. Ein extrem weitläufiges Gelände. Wo standen nur die Antworten zu Wolfgangs Fragen? Die erste Frage stand glücklicherweise oben auf dem Berge auf einer großen Tafel. Nach aufwändigem Studieren aller Tafeln, war keine weitere Frage zu lösen. Mein Mann wanderte ins finstere Tal, wurde immer kleiner. Ich dachte, man kann das bestimmt auch googeln. Wikipedia spendierte mir als Antwort: „in den siebziger Jahren". Ich ahnte gleich, dass Schlaufuchs Wolfgang Behauptungen aus der Lügenpresse als alternativlos unbrauchbar deklarieren würde. Mein Mann kam von seiner Wanderung zurück mit der Zahl 1969. Das klang besser. Um die dritte Frage zu beantworten, mussten wir uns wieder auf die Maschine schwingen und ein weit entferntes Schild anfahren.
Fazit: jegliche Pfuschversuche durch Hinzunahme einer fragwürdigen Informationsquelle werden von Wolfgang im Vorfeld vereitelt. Er findet garantiert ein altes verrostetes Schild mit einer Information, die keiner wissen will und somit nicht googlebar ist. Wenn man die Schilder dann wie Ostereier erst suchen muss, um so spannender ist es.
Unsere Tour führte uns nun in die Berge des Harzes und in die Nähe des Brockens. Als erstes lernten wir, dass die Leute dort auch Baustellen einrichten können und Umleitungsschilder besitzen, die stolz eingesetzt werden. Des weiteren wurde ein Nieselregen zu einem Dauerregen, der uns zwang, uns in die Regenhäute zu pellen. Das reichte immer noch nicht. Zur Vollendung unserer Qual, wurden die Straßen immer schlechter, nach dem Motto „Loch an Loch und hält doch". Wir wurden immer vorsichtiger und lahmer. Ich wollte auch nicht an einem Regenreifentest teilnehmen und ABS haben wir nicht. Unsere Unterlagen durchweichten langsam. Es wurde auch schwieriger, Antworten abzulesen, mangels Scheibenwischer auf der Brille und beschlagenem Visier.
Auf irgendeinem durchnässten Schotterweg an einem Stollen schlug mein Mann ein Aufgeben vor, weil ihm die Fahrerei zu gefährlich erschien. Diese Möglichkeit wurde von mir mit Durchhalteparolen verweigert. So beantworteten wir brav alle Fragen.
Die Hängebrücke habe ich nicht wieder gesehen. Auf dem Rückweg nach Quedlinburg schien dann wieder die Sonne und wir konnten nochmal richtig Gas geben, weil wir soviel Zeit verloren hatten. Unsere Klamotten wurden durch den Fahrtwind fast wieder trocken.
Acht Minuten vor 14 Uhr erreichten wir das Ziel auf dem Wipertihof in Quedlinburg .Uff
Unsere Unterlagen wurden wir schnell los, die Auswerter arbeiteten bereits in der Remise an unseren Antworten. Es herrschte ein Gewusel an Deutschlandfahrern im Innenhof und man konnte so manche Maschine bestaunen.
Bevor es jedoch ein Ergebnis und etwas ordentliches zu beißen gab, stand eine Stadtführung auf dem Plan. Unsere Führerin hieß Erika. Schade, dass sie so viel Redundantes zu erzählen hatte. Uns qualmten die Köpfe, da die Aufnahmefähigkeit nach so einem Tag stark reduziert war. Nora fand es bei „ too much information" dann spannender auf Shopping-Tour zu gehen. Sie wurde fündig. Und Erika redete noch immer. Ich muss nochmal hin, ich habe alles vergessen und vielleicht steht sie ja noch da.
Zurück auf dem Innenhof sah man weiße Tischdecken auf Biertischen, die im heftigen Wind flatterten. Beschwert waren sie mit Wackersteinen. Das musste als Deko reichen. Wolfgang erläuterte später, dass er die Nachfrage der Wirte, ob wir Tischdecken benötigen mit „ Nein, wir sind Biker, wir brauchen das nicht," beantwortet hatte. Verstanden wurde vielleicht, „wir sind Biker, wir trauen uns nicht".
Besagte Tischdecken tauchten dann auf der Rechnung als Reinigungsposten auf. Blütenweiß oder rein. Wer hat denn da gekleckert? Nächstes Jahr werden Schlabberlätzchen verteilt. Man könnte die Soßenflecken auch als Kunst deklarieren und für viel Geld verkaufen. Bei Joseph Beuys Fettecke hat das ja auch geklappt.
Ein Grillteam stand schon seit geraumer Zeit am Rande des Hofes, leicht übermotiviert, wie mir schien. Das Fleisch wirkte schon stark pigmentiert. Eine lange Schlange hungriger Deutschlandfahrer stand vor der Beilagenhütte an. Ich stand wohl zu weit hinten. Als ich endlich vor den Behältern stand ,fragte ich mich schon „Wer hat von meinem Tellerchen gegessen, wer hat von meinem Brötchen gebrochen, wer hat von meinem Gemüschen genommen, wo ist mein Becherchen?" Irgendwie war die Raupe Nimmersatt wohl schon vorher dort. Brot war aus, und einige Sachen musste man zusammen kratzen.
Frauen sind auch hungrig!!! Ich bin natürlich verwöhnt von dem opulenten Festmahl auf der Deutschlandfahrt 2017. Das war Spitze. Früher war mehr Lametta, aber es sollte auch mehr Grünzeug geben. So sammelte ich die Brocken und kämpfte mich durch die Kruste der Schnitzel.
Als das Essenfassen erledigt war, verkündigte Wolfgang die Ergebnisse. Es gab nicht wirklich große Überraschungen. Die Liste der Besten änderte sich nur geringfügig. Wir waren irgendwo dazwischen, aber auch nicht wirklich schlecht. Last but not least wurde die Shoppingmeile des BVDM eröffnet. Ich ergatterte ein hübsches blaues T-Shirt und eine schicke Weste. Danach sehnte ich mich schon lange.
Irgendwann ist auch die schönste Party zu Ende. Wir machten uns ein letztes Mal auf zu unserem Campingplatz.
Es war eine schöne Fahrt, teilweise sehr spannend und aufregend. Es gab nette Leute und interessante Gespräche. Wolfgang hatte sehr viel Herzblut in seine Vorbereitungen gesteckt und ist sogar im Winter die Strecke mit dem Auto anstatt mit seinem Motorrad abgefahren. Bis nächstes Jahr! Wir freuen uns auf Rothenburg ob der Tauber!
Claudia Frankeser