Deutscher Bundestag
Stein mit der Aufschrift "Deutscher Bundestag"

„Die Aufbruchstimmung der frühen 70er Jahre war treibende Kraft - auch für die Mitbestimmung. Der Demokratisierungselan ging weit über die Arbeitswelt hinaus. Als sich die Grenzen des Wachstums zeigten, galt es, das Erreichte abzusichern." (Prof. Dr. Schönhoven, Universität Mannheim)

Willy Brandt war mit seiner ersten Regierungserklärung und dem Bekenntnis zu mehr Demokratie aus dem Jahre 1969 sicher nicht der Urheber der „Tour der Demokratie". Die Motorradtour der Sportgemeinschaft Deutscher Bundestag e.V. zur Erinnerung an den Parlamentsumzug vor 20 Jahren und die friedliche Revolution in der DDR vor 30 Jahren haben aber sicher ihre Wurzeln in genau dieser Aufbruchstimmung der frühen 70er Jahre. So vereinen sich in der Tour historisch bedeutungsvolle Ziele in Ost und West, die, angelehnt an den parlamentarischen Umzug von Bonn nach Berlin vor 20 Jahren, in umgekehrter Richtung über etwas mehr als 500 Kilometer von Berlin nach Leipzig, Weimar, Eisenach und Dillenburg nach Bonn führt. Eine spannende, anspruchsvolle und emotionale Reise durch die demokratische Entwicklungsgeschichte unseres Landes.

Start am Deutschen Bundestag

Acht Motorradfahrer brechen am 3. Oktober dieses Jahres um 10 Uhr in Berlin am Deutschen Bundestag auf, um von dort aus die Nikolaikirche in Leipzig zu besuchen und an der Gedenkstätte Buchenwald einer Kranzniederlegung beizuwohnen. Bei zum Teil strömendem Regen und kühlen Temperaturen führt die Reise weiter nach Weimar zum „Deutschen National Theater", dem Ort der ersten Deutschen Nationalversammlung vom 6. Februar 1919. Die Teilnehmer der Tour erhalten nicht nur viele Informationen aus der Zeitgeschichte, es prasseln auch emotionale Eindrücke auf sie ein, die mitnehmen, ergreifen und sich in den Reaktionen bei der Ankunft in Bonn widerspiegeln.

 

Ankunft an der Nikolaikirche Leipzig (Bild Wolfgang Schmitz)

 

Legendär: Schwerter zu Pflugscharen, Nikolaikirche in Leipzig (Bild Wolfgang Schmitz)

Kranzniederlegung in Buchenwald (Bild Wolfgang Schmitz)

 

Vor dem Deutschen Nationaltheater Weimar (Bild Wolfgang Schmitz)

Nach einer Zwischenübernachtung in Weimar reist die Gruppe am 4. Oktober weiter. Schon um 10 Uhr steht ein Empfang auf der Wartburg an. Auch hier gilt es, ein Jubiläum zu würdigen. Anlässlich des 300. Jahrestages des Thesenanschlags von Dr. Martin Luther fand dort im Oktober 1813 das erste Wartburgfest um im Revolutionsjahr 1848 das zweite Fest auf Einladung der Jenaer Urburschenschaft statt. Im Oktober 2019 hat allerdings nicht die Urburschenschaft eingeladen. Katja Wolf, die Oberbürgermeisterin der Stadt Eisenach, begrüßt die Motorradfahrer und schickt sie auf eine Führung durch diese historische Stätte der Kirchengeschichte. Sicher darf auf einer Fahrt über die Wurzeln der Demokratie nicht der Grenzübergang Wartha/Herleshausen fehlen. Wer erinnert sich nicht an den DDR-Agenten und ehemaligen Referenten von Willy Brandt, Günter Guillaume, der dort ausgetauscht wurde.


Günter Guillaume (rechts) und Willy Brandt
Quelle: Pelz - Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=27729238

Von Dillenburg aus, der Geburtsstadt von Wilhelm von Oranien, dem „Vater der Niederlande", geht es weiter zum Ziel der Reise, dem „Alten Bundestag" in Bonn. Triefend nass, mit glücklichen, aber auch nachdenklichen Gesichtern kommen die Teilnehmer der Tour am vierten Oktober, kurz nach 18.00 Uhr, auf dem Platz der Vereinten Nationen – inmitten der neuen Deutschen Geschichte - an. Sie werden würdevoll geleitet von einer Motorradstaffel der Polizei und des ADAC, die mit ihren Signallichtern der Veranstaltung den herausragenden Rahmen geben, der ihr gebührt.

Einfahrt der Teilnehmer in Bonn

Reinhard Limbach, Bürgermeister der Stadt Bonn und selbst Motorradfahrer, begrüßt die kleine Gruppe und erinnert noch einmal an die legendäre Freundschaftsfahrt von Abgeordneten, Mitarbeitern und Referenten des Deutschen Bundestages, die anlässlich des bevorstehenden Parlamentsumzugs am 14. Mai 1999 mit ihren Motorrädern von Bonn in die neue Bundeshauptstadt nach Berlin fuhren. Die anschließende Führung durch den Plenarsaal des Bundestages rundet die Tour ab und schließt den Kreis der Geschichte von der Nikolaikirche zum alten Bundestag.

In den Statements der Teilnehmer und Organisatoren der Fahrt spiegelt sich ein ganz besonderes Bild:

Reinhard Limbach

Reinhard Limbach, Bürgermeister der Stadt Bonn

Redaktion: „Herr Limbach, Sie haben die am 14. Mai 1999 erste Fahrt von Bonn nach Berlin, quasi den Umzug der Motorradfahrer, miterlebt. Woran erinnern Sie sich noch?"

Reinhard Limbach: „Ich habe als Motorradfahrer die erste Fahrt von Bonn nach Berlin mitgemacht. Das war groß, das war sehr gut veranstaltet, sehr gut organisiert. Es waren ein paar mehr (Motorradfahrer, Anm. d. Red.) als heute, ich glaube das waren über 100, 120 Personen, die dabei waren. Eine traumhafte Fahrt und eine super Stimmung."

Andreas Kimmel, Obmann Motorrad SG Deutscher Bundestag

Redaktion: „Sie haben diese Fahrt über etwas mehr als 500 Kilometer organisiert und sind mitgefahren. Was haben Sie als Besonderheit aus der aktuellen Tour in Erinnerung?"

Andreas Kimmel: „Ein Highlight war die Nikolaikirche in Leipzig. Nicht der Pfarrer, sondern der Küster hat uns begrüßt und durch die Kirche geführt. Dieser Herr Müller ist ein Aktivist der allerersten Stunde, der maßgeblich mit die Montagsdemonstrationen vor 20 Jahren organisiert hat.

Und das andere war 100 Jahre Demokratie in Weimar. Wir waren gestern Abend im Deutschen Nationaltheater in Weimar im Haus der Demokratie. Das war auch sehr beeindruckend.

Natürlich ist es immer wieder schön hier nach Hause zu kommen, in den alten Plenarsaal, wo wir vor genau 20 Jahren gestartet sind. Bürgermeister Limbach hat diesen Verein, die Motorradgruppe im Deutschen Bundestag, mitgegründet."

Henning Fox „Wheels for Europe"

Redaktion: „Der Verein „Wheels for Europe hat sich an dieser Tour beteiligt. Was ist das für ein Verein?"

Henning Fox: „Wheels for Europe ist ein noch sehr junger Verein. Er ist, glaube ich, im Februar oder März diesen Jahres gegründet worden. Der Sinn ist es, innerhalb der europäischen Gemeinschaft Sternfahrten zu europäischen Stätten mehrfach im Jahr stattfinden zu lassen."

Rabbi Dr. Walter Rothschild

Redaktion: „Herr Dr. Rothschild, Sie haben diese Fahrt begleitet, was hat Sie bei dieser Fahrt besonders beeindruckt? "

Dr. Walter Rothschild: „So viele Eindrücke, aber ich erinnere mich an einen Kerl in Leipzig, in der Nikolaikirche, ein Küster. Ich habe leider seinen Namen nicht. Er hat uns begleitet. Er hat über die damalige Situation erzählt, den Kampf für die Freiheit, den Kampf für die Demokratie. Er trug in sich eine Wut über die Vergangenheit, über die Gegenwart. Und ich respektiere diese Wut im Menschen. Wenn sie einen guten Grund zur Wut haben, dann sollen sie sie behalten."

Wolfgang Schmitz, Schatzmeister BVDM, Referat Elefantentreffen und Deutschlandfahrt, Organisator und Tourguide

Redaktion: „Wolfgang, Du hast diese Fahrt begleitet und geführt, was hat Dich besonders beeindruckt?"

Wolfgang Schmitz: „Ich hatte eine Menge Gänsehautmomente. Das lag nicht nur daran, dass ich bei niedrigen Temperaturen und Regen in Berlin angekommen bin. In Leipzig hatten wir eine tolle Begegnung mit jemandem, der bei der Revolution vor 30 Jahren 17 Jahre alt war und im friedlichen Rahmen an den Kerzenwachen teilgenommen hat. Er wurde mehrfach verhaftet und hat uns erzählt, wie friedlich die Revolution von statten gegangen ist, wie eisern sie zusammengehalten und wie sie den Staat ausgetrickst haben, indem sie die kirchliche Hülle genutzt haben. Und er hat mittlerweile die Funktion eines Küsters in der Nikolaikirche. Er hat uns geführt und gezeigt, wo die Bilder der damals Verhafteten hingen, wo Blumen hingebracht wurden von der Bevölkerung. Die Montagsdemonstrationen sind immer weitergewachsen. Der „inner circle" hatte seine Zelle in der Kirche..."

G.H-St.