Der letzte 4-Zylinder luftgekühlt
Mit dem Lieferstopp der Honda CB 1100 RS und EX im Jahre 2021 verschwindet der letzte luftgekühlte Vierzylinder-Motorradmotor vom Markt der Motorrad-Neufahrzeuge in Europa. Dieser Bericht beschreibt nach 13.000 km die persönliche Erfahrung mit einem „letzten Mohikaner“, einer Honda CB 1100 RS.
Aber es war 1969 das Unternehmen Honda, welches den Mut hatte, mitten in der wohl größten Krise des Motorrades, den Vierzylinder als bezahlbares Groß-Serien-Produkt 1969 in den Markt ein zuführen. Ein Motor, der zu seiner Zeit zu den leistungsfähigsten und zugleich zu den zuverlässigsten zählte. Honda baute den Vierzylinder in den folgenden Jahren bis „hinunter“ zu einem 350 ccm Motorrad. Kaum ein Wettbewerber konnte sich den überwältigenden Vorteilen und dem Markterfolg entziehen. In der Folge trat der Vier-Zylinder einen Siegeszug an, dem sich letztendlich auch BMW beugen musste. Es darf durchaus die Hypothese gewagt werden, dass Honda mit dem sprunghaften Erfolg seines Vier-Zylinders, den andern Herstellern Mut machte, neue attraktive Modelle zu entwickeln und an eine positive Zukunft für das Motorrad zu glauben.
Immer schärfere Umweltauflagen, in Verbindung mit einem Wettlauf nach immer höherer Motorleistung, führten letztlich dazu, dass diese Motoren wassergekühlt wurden. Die faszinierende Optik, der Charm, das „Knistern“ der sich abkühlenden, heißgefahrenen Motoren, kurz und gut, sehr viel „Emotion“ ging so im Laufe der Zeit verloren.
Honda bringt 2009 wieder einen luftgekühlten Vier-Zylinder im Motorrad.
Honda erbarmte sich 2009 dem „Bitten und Flehen“ der „Motorrad-Gemeinde“ und stellte 2009 auf der Tokyo Motor Show wieder eine Honda mit luftgekühltem Motor vor. Es folgten mehrere kleine, vorteilhafte Weiterentwicklungen in Bezug auf Design und Getriebe. Der Motor mit 1100 ccm, 93 PS bei 7500 U/min. und einem Drehmoment von 90 Newtonmeter bei 5500 U/min. ist bis dato der gleiche geblieben. Dabei stehen bereits ab 3000 U/min. satte 80 Newtonmeter Drehmoment zur Verfügung.
Ein sportlicher Tourer – kein Racer!
Der Autor, auf der Suche nach einem absolut zuverlässigen, robusten, starken und schaltfaul zu fahrende Tourenmotorrad im klassischen Stil, hat sich im Winter 2018 zu dem Neukauf einer CB 1100 RS entschieden. Die RS ist die etwas sportlichere Variante der CB 1100. Nein, ein „Rennmotorrad“ ist diese sportlichere Variante der CB 1100 nicht. Sie ist kein „Racer“! Sie ist und bleibt ein Tourer. Allerdings, so meine Erfahrung nach 13.000 km, mit einem extrem stabilen Fahrwerk, den besseren Stoßdämpfern, der stabileren Gabel und herausragenden Bremsen („2-Finger-Bremse mit sauberem Druckpunkt“). Außerdem hat sie einen flachen Lenker, der eine versammelte, aktive und dennoch bequeme Fahrer-Position ermöglicht. Ich wollte unbedingt ein „pures“ „Motor-Rad“ ohne Verkleidung, ohne elektronischen Schnickschnack. Das einzige (für mich sinnvolle) Zugeständnis an die „moderne Zeit“ ist ein ABS und die Anti-Hopping-Kupplung.
Da der Autor gelegentlich auch auf der Landstraße gerne "sehr zügig" unterwegs ist (wenn der Verkehr dies zulässt!) und vor den Kurven gerne den spätesten möglichen Bremspunkt sucht, verbunden mit schnellem Herunterschalten, empfindet er es als angenehmen Luxus, wenn das Hinterrad nicht stempelt.
Fahrwerk - Extrem stabil
Nach 13.000 km sowohl auf schnellen Autobahnetappen mit viel Gepäck, als auch auf zügig gefahrenen dritt-klassigen Landstraßen, kann ich sagen, dass das Fahrwerk absolut stabil ist. Es gibt kein „Schwimmen, kein „Aufschaukeln“ kein „Verwinden“. Selbst wenn in voller Schräglage Bodenwellen auftauchen, die Honda CB 1100 RS bleibt stabil. Etwas sensibel ist die RS hinsichtlich der Reifenwahl. Einige Testberichte in Fachzeitschriften sagen, dass die Honda RS sich etwas schwerfällig in die Kurven abkippen lässt. Sie gilt – im Vergleich zu anderen modernen Motorrädern - als wenig agil. Dies konnte ich auch beobachten, bis ich die Reifen gewechselt habe. Seitdem der Sportreifen „AVON ULTRA EVO“ montiert ist, fährt sich die RS regelrecht leichtfüßig. Sie geht ohne Widerstand in die Schräglage. Der hervorragende Geradeauslauf, die Fahrstabilität bei hohem Tempo, hat nicht gelitten.
Motor - Für Tourenfahrten ein Gedicht
Der Motor ist - für den Tourenfahrer (!)- ein Gedicht. Man charakterisiert ihn am besten als „Bullen“. Aus niedrigsten Drehzahlen (1500 U/min.) lässt er sich im 6. Gang beschleunigen, ohne zu Ruckeln. Zusammen mit dem bulligen Drehmomentverlauf ermöglicht dies ein schaltfaules Fahren und souveränes Gleiten durch Ortschaften oder traumhafte Alleen, mit einem „flüsternden“ Motor. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der aktuellen Lärm-Diskussion sorgt dies für ein absolut „ruhiges“ Gewissen. Das 6-Gang-Getriebe ist sehr lang übersetzt. Manche mögen sagen „zu lang“ übersetzt. Nicht so der Autor. Er genießt es, dass bei einer Autobahn-Reisegeschwindigkeit von etwa 150 km/h lediglich 4500 U/min auf dem Drehzahlmesser stehen. Ja, auch dann lässt es sich zügig überholen, ohne zu schalten.
Soll es allerdings richtig schnell zur Sache gehen, ist der schnelle Sprint gefragt, dann sollte geschaltet werden. Der Motor dreht (obwohl es ein Drehmoment optimierte Motor ist) willig und schnell hoch. Schon im 3. Gang werden 180 km/h erreicht. Wenn es sein muss, geht der erste Gang bis Tempo 100 km/h. (Porschefahrer an der Ampel, die drängeln wollen, wundern sich jedes Mal). Nun, wem die Übersetzung zu lang ist, der kann einfach das hintere Ketten-Blatt von einem 40iger auf ein 45iger wechseln. Aber Vorsicht: Dann steigt das Vorderrad beim harten Beschleunigen sehr, sehr schnell. Ich hatte dies anfänglich gemacht, dann aber doch wieder zurück gerüstet. Gründe: Siehe oben.
Ökonomisch und Pflegeleicht
80% aller Fahrten lege ich mit diesem Motorrad im „Genuss-Modus“ zurück. Ich nutze die Option des niedertourigen und schaltfaulen Fahrens. Der Motor bedankt sich, mit einem Verbrauch von etwa 4 - 4,5 Liter/100km. Auch auf schnellen Autobahn-Etappen habe ich ihn noch nie beim „Trinken“ erwischt. Der Verbrauch liegt dann um die 5,5 Liter.
Da der Tank knapp 17 Liter Benzin fasst, sind ausgedehnte Touren ohne häufige Tankstopps kein Problem. Zur Sicherheit gibt es in den Armaturen eine Anzeige, die zum Tanken mahnt, wenn der Treibstoff im Tank unter 4 Liter sinkt. Stichwort „Touren“: Im Gegensatz zu vielen „modernen“ Motorrädern kann man auf diesem Bike noch problemlos den richtig großen Tankrucksack befestigen. Toll für das Gepäck, noch besser für den Windschutz, den er dem Fahrer bietet.
Ja, Kenner haben es bemerkt: Die von mir verwendete Sitzbank (siehe Bild) ist nicht original. Diese Bank ist ein Premium-Nachrüstprodukt, welches ich direkt in Japan gekauft habe (Honda bietet es nicht an!). Für mich als Langstrecken-Fahrer war die Serien-Sitzbank dann doch zu hart und zu wenig komfortabel. Der Interessierte findet die Sitzbank und Vieles mehr zum Customizing hier:
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(„Samurider“ ist nach meiner mehrfachen Erfahrung ein absolut zuverlässiger, freundlicher und seriöser Anbieter von Customizing-Produkten. Allerdings: Die Geschäftssprache ist Englisch).
Ja, es gibt auch kritische Punkte
Sicher, es gibt auch etwas zu kritisieren: Der Motor riegelt bei Tempo 190 km/h ab (offiziell bei Tempo 180 km/h). Die Abriegelung wird über die Geschwindigkeit und nicht über die Drehzahl gesteuert. Es ist daher völlig egal, ob man 180-190 km/h im 4., 5. oder 6. Gang fährt. Bei diesem Tempo ist einfach Schluss. Mich ärgert das, weil ich mich bevormundet fühle. Nun, es ist ein rein psychologischer Reflex meines „freiheitsliebenden Sturkopfes“. Denn, wenn ich ehrlich bin, auf diesem „naked bike“ nutze ich die maximale Geschwindigkeit so gut wie nie aus. Der Winddruck ist einfach zu hoch, es macht schlicht wenig Spaß. Dennoch, ich bin auf der Suche nach einem „Chip-Tuner“, der die Elektronik entdrosselt. Dies ist allerdings bei dieser Honda sehr schwer, die Software ist extrem gut verschlüsselt. Mehrere „Chip-Tuner“ haben sich schon erfolglos „die Zähne ausgebissen“. Ja und dann ist noch anzumerken, dass das Motorrad mit etwa 250 kg Eigengewicht doch etwas schwer geraden ist. Sicher, das liegt nicht zuletzt an der soliden Verarbeitung und an dem mächtigen Motor. In der Garage, beim Rangieren, spürt man das Gewicht sehr wohl. Beim Fahren allerdings absolut nicht.
Nach 13.000 km ging die Honda in die Werkstatt des Importeurs. Die große Überraschung, das Ventilspiel musste nicht justiert werden. Alle Ölwechsel (nach 10.000 km) und sonstigen Inspektionen mache ich selbst und weil es ein exzellentes Werkstatt-Buch zu kaufen gibt, kann das auch jeder, der das Wort „Schraubenschlüssel“ buchstabieren kann. So gesehen ist die Honda auch noch ein sehr ökonomisches Motorrad. Zwischen den vorgeschriebenen „Ölwechsel-Intervallen“ alle 10.00 km, ist kein Ölverbrauch feststellbar. Aus der CB 1100-Community sind mir inzwischen mehrere Fahrzeuge bekannt, die die 200.000 km Laufleistung erreicht haben, ohne dass der Motor geöffnet werden musste. Nun, von einem Honda-Vier-Zylinder hätte ich auch nichts anderes erwartet.
Abschied mit Tränen in den Augen
Ich persönlich habe an diesem simplen, einfachen Motorrad (auch das Fahrwerk ist nicht weiter einstellbar, lediglich die hinteren Federbeine werden der Belastung angepasst) meine Freude. Ich will fahren und nicht am Fahrzeug spielen. So sehe ich mit traurigem Herzen, ja „mit Tränen in den Augen“, dass der letzte luftgekühlte 4-Zylinder in Europa allmählich verschwinden wird. Noch gibt es bei den Händlern Restbestände an Neufahrzeugen und der Markt an guten, gepflegten, gebrauchten CB 1100 ist für etwaige Interessenten gut gefüllt.
Es bleibt eine Randbemerkung: Meine Begeisterung ist echt! Ich werde von Honda nicht bezahlt, habe keine Geschäftsbeziehungen zu Honda und auch meine Familie nicht. Es ist ein persönlicher – subjektiver - aber ehrlicher Erfahrungsbericht.