Wiederbelebung der Marke HARRO - Daniela Talmon & Alexander Bodamer
Erlebnisbericht: Motorradausrüstung - Die Marke „HARRO" ist zurück
Wenn Motorradfahrer heute Zubehör und Ausrüstung für ihr Motorrad suchen, dann stehen sie vor einem riesigen Angebot. Sowohl was die Bekleidung betrifft, als auch bei Lösungen für den Gepäcktransport. Tankrucksäcke, Motorradseitentaschen, Gepäckrollen. Bekleidung aus Leder oder Textilgewebe für warmes oder kaltes Wetter steht in großer Auswahl zur Verfügung.
50er Jahre: Ein „Klepper-Mantel" war der Himmel auf Erden
Völlig anders war die Situation in den frühen 50er und 60er Jahren. Zubehör für Motorradfahrer war sprichwörtlich Mangelware. Die Fahrer saßen in gewöhnlicher Alltags-Kleidung auf Roller, Motorrad oder Gespann. Für Kälte und Regenwetter, zum Schutz gegen Schmutz und Wind, hatte man lange „Fahrmäntel“ in einem weiten Schnitt, die man über die dicke Jacke drüberziehen konnte. Bei „betuchten“ „Herren-Fahrern“ war dieser aus Leder, die preiswertere Version und erheblich praktischere, bestand aus „Gummi"-Material. Das innere Baumwollgewebe hatte außen und innen eine Gummibeschichtung und war somit wind- und wasserdicht. Nach einer Regenfahrt oder nach verschmutzen Straßenabschnitten konnte man sie schnell reinigen. Berühmt und begehrt waren der „Marquardt-Fahrmantel" und der „Klepper-Mantel".
Für die „schnellen Jungs und Mädels" der 60er: Die „HARRO"-Lederkombi und -jacke
Vor diesem Hintergrund war die zweiteilige Lederkombi, die „HARR" 1959 in den Markt einführte, eine echte Sensation. („HARRO", gegründet 1944, basiert auf dem Namen des Firmengründers Ernst Harr und dem Ort des Unternehmenssitzes in „Rohrdorf“ im Nagold Tal). Die „HARRO"-Lederkombi war für den, der es sich leisten konnte, die elegante und zugleich robuste und sichere Bekleidung für den schnellen, sportlichen Fahrer. Wer keine komplette Lederkombi tragen wollte, und wer das nötige „Kleingeld“ hatte, kaufte sich in den 60er und 7oer Jahren die „HARRO"-Lederjacke mit dem schillernden Namen „Rennweste“.
Diese Jacke (auch der Autor hatte eine) war das Statussymbol der jungen Fahrer und sie kommunizierte damals eine anti-bürgerliche, widerspenstige, nach „Freiheit und Abenteuer" suchende Lebenseinstellung.
Der Elefantenboy löste die Transportprobleme
1962 löste „HARRO" das zweite große Problem der Motorradfahrer: Er führte den, mit Ernst Leverkus zusammen entwickelten, Tankrucksack „Elefantenboy“ in den Markt ein. Die Geschichte des Elefantenboy und seine unerhört praktische Funktionalität hat Ernst Leverkus (alias „Klacks“) in der Zeitschrift Motorrad (Heft 22, 1962) ausführlich beschrieben.
Hier klicken und lesen - Ernst Leverkus: Die Story vom Elefantenboy, MOTORRAD 1962
Der Elefantenboy war und ist unerhört robust, der Autor dieses Artikels fährt „seinen“ Elefantenboy seit nunmehr 45 Jahren auf wechselnden Motorrädern über 400.000 Kilometer. Aufgrund guter Pflege, ist dieser Tankrucksack noch immer „im Dienst“. Ausgetauscht wird regelmäßig lediglich der Schaumstoff an der Tankauflagefläche des Tankrucksackes. Irgendwann stinkt dieser wenig sozialverträglich nach Benzin.
Der „HARRO“ (Tankrucksack) ist inzwischen so etwas wie „historisches Kulturgut“. Umso trauriger war der Autor (vermutlich nicht alleine), als bekannt wurde, dass das Unternehmen „HARRO" 2014 den Betrieb einstellte. Es schien, als sollte eine große, berühmte und liebgewonnene Marke aus der Motorrad-Community für immer verschwinden.
Auferstehung - Eine „Kultmarke“ wird wiederbelebt
Doch es kam im Jahr 2016 zu einer Wiederbelebung. Alexander Bodamer und Daniela Talmon gründeten ihr Unternehmen „Die RENNWESTE“ und arbeiten hart daran, der Marke „HARRO" ein zweites Leben einzuhauchen. Selbstverständlich werden die Kultprodukte der vergangenen Jahrzehnte wieder aufgelegt. Die Kunden können den „HARRO"-Elefantenboy, die „Rennweste“ oder den „Knochensack“ („Kosename“ für eine einteilige Lederkombi von „HARRO") wieder kaufen. Hergestellt nach den originalen Schnittmustern, produzierte in der ursprünglichen Qualität.
Mit den Unternehmern im Gespräch
Der BVDM hat die beiden Unternehmer in Rohrdorf im schönen Nagold-Tal besucht und interviewt. (Ja, das „neue“ Unternehmen wurde wieder in Rohrdorf angesiedelt). Alexander Bodamer und Daniela Talmon berichten über ihren Neustart und wie sie der Marke „HARRO" neues Leben einhauchen.
BVDM: Ihr seid die Inhaber des Unternehmens „die RENNWESTE“ und produziert diverse „HARRO"-Kultklassiker wie den Tankrucksack Elefantenboy®, die Motorrad Lederjacke „Rennweste“ oder die Leder-Kombi „ASSEN“ neu. Bitte stellt Euch doch mal kurz vor und sagt uns, was hat Euch motiviert, die Klassiker der Marke „HARRO" zu reaktivieren?
Daniela: Mein Leben mit dem Motorrad begann mit 16 Jahren, gestartet auf einer 80er Vespa, die ich später auf 135 ccm getunt habe. Seit dieser Zeit fahre ich die Marke „HARRO". Heute auf einer Yamaha SR 500. Meine erste Jacke stammte vom Flohmarkt, denn damals schon war „HARRO" eine Edelmarke. Für Jugendliche kaum bezahlbar.
Alexander: Auch ich bin mit 16 Jahren mit einem Motorrad gestartet. Mein erstes Motorrad war eine Honda MTX80, gedrosselt auf 50 ccm. Klar, zu der Honda habe ich damals die „Rennweste“ getragen. Die Honda bot jede Menge Möglichkeiten zum Tuning, das motivierte mich bereits mit 18 Jahren mit Motorrädern – eben mit der Honda MTX80 – zu handeln.
BVDM: Wenn man Produkte herstellt, wie Motorradbekleidung oder Zubehör, wie z.B. den Tankrucksack, benötigt man ja vermutlich technisches und kaufmännisches „Know How“. Wie habt Ihr Euch dieses „Know How“ angeeignet? Habt Ihr eine entsprechende Ausbildung?
Alexander: Ich habe eine Ausbildung zum Motoren-Mechaniker und später ein Studium der Fahrzeug-Technik in Berlin absolviert. Längere Zeit habe ich bei dem Automobilzulieferer „BOCAR" in Wolfsburg gearbeitet und war unter anderem für diese Unternehmen auch in Mexiko. 2008 bin ich dann zurück in die Heimat, nach Nagold und habe mich zunächst mit einer Fertigung für Metall-Fahrzeugteile selbstständig gemacht.
Daniela: Meine Grundlage für die Selbstständigkeit ist eine kaufmännische Ausbildung im Textil-Einzelhandel. Mit diesem Hintergrund organisiere ich heute die Schnittstelle zwischen dem Kunden und der Produktion in der Schneiderei. Ich sorge dafür, dass die Leder-Kombi dem Kunden passt. Denn unsere „HARRO"-Lederkleidung wird auf Kundenwunsch individuell angepasst.
BVDM: Wann habt Ihr die Lizenzen erworben? Und wann habt Ihr Euer Unternehmen gegründet?
Alexander & Daniela: Zu den Firmeninhabern von „HARRO" hatten wir schon kurz vor der Betriebsschließung Kontakt. 2015 haben wir die restlichen Lagerbestände gekauft, ebenso wie die Schnittmuster und Teile des Maschinenparkes. Zunächst haben wir die Lagerbestände abverkauft. Damals haben viele Leute angerufen, wir haben Listen angefertigt, was die Kunden suchen, was sie sich von der Marke „HARRO" wünschen. Die Firma war zunächst noch die „BOCAST GmbH" mit Firmensitz in Nagold. 2016 konnten wir dann die Lizenzen zur Fertigung der „HARRO"-Klassiker erwerben und fertigen seitdem unter dem Namen „Die RENNWESTE“. In 2017 haben wir dann diese Halle in Rohrdorf erworben und nach umfangreicher Renovierung sind wir am 21. April 2018 hier eingezogen.
BVDM: War es sehr schwer, für die Herstellung das fachkundige Personal zu akquirieren? Wo werden denn Eure „HARRO-Produkte“ gefertigt?
Daniela: Oh ja, das war ein schwieriger Start. Zunächst haben wir hier im weiten Umfeld von Rohrdorf nach Lederschneidern gesucht und niemanden mit entsprechendem Know-How und Leidenschaft gefunden. Der damalige Produktionsleiter war inzwischen nach Rumänien zurückgekehrt. Durch einen glücklichen Zufall konnten wir seine Adresse in Erfahrung bringen. Er hat uns dann geholfen, die Produktion mit geschulten Fachkräften in Rumänien aufzubauen. Das Material kommt primär aus Deutschland und Italien. Der Tankrucksack wird vollständig in Deutschland hergestellt. Wir haben das Ziel, die Produktion für alle Produkte in Europa zu beheimaten.
Übrigens: Wir sind nach wie vor auf der Suche nach Leder-Schneidern in der näheren und auch weiteren Umgebung. Bewerbungen werden sehr gerne entgegengenommen.
BVDM: Wie differenziert sich heute die Marke „HARRO" von den Wettbewerbern? Was ist denn die „unique selling proposition" (Alleinstellungsmerkmal) der Marke „HARRO"? Was macht sie einzigartig? Warum zahlt der Kunde einen gehobenen Preis?
Alexander: Eine große Bedeutung hat die Psychologie. Unsere Kunden kaufen sich die Freiheit und Erinnerung ihrer Jugend.
Hinzu kommet, dass wir eine der wenigen Marken sind, die „Customizing“ anbieten. Wir erfüllen die Wünsche der Kunden nach angepasstem Schnitt, nach ausgewähltem Material und nach einer individuellen Farbgebung und persönlichen Applikationen. Wenn der Kunde es möchte, bekommt er seine Motorrad-Leder-Kleidung maßgeschneidert.
Daniela: Die „HARRO"-Schnitte sind seit Jahrzehnten erprobt. Die Ergonomie stimmt, ebenso wie die Qualität. Wir konnten an gute alte Lieferanten anknüpfen und unser Leder wird nach einem alten „Geheimrezept“ gegerbt. Das wird selbstverständlich nicht veröffentlicht.
BVDM: Motorradfahrer sind Individualisten. Sie sind so vielfältig wie ihre Motorräder. Wer ist Eure Zielgruppe? Welchen Typus von Motorradfahrern und -fahrerinnen sprecht Ihr eigentlich besonders an?
Alexander: In erster Linie die „Motorrad-Wiedereinsteiger“, so mit einem Alter von Ende 40 bis Anfang 50. Diese Leute haben die Familiengründung und den „Nestbau“ hinter sich, sie sind zahlungskräftig und sie wollen an ihre Jugend anknüpfen.
Dann die „Individualisten“, des Typus „Build not Bought“. Es sind die Menschen die eine Marke suchen, die Ihnen Individualität und Flexibilität verspricht. Herausgehoben aus der Masse.
Hinzu kommen immer mehr „junge Leute“ mit hohem Qualitätsbewusstsein. Auch der Trend hin zu Klassikern, zu einem gewissen „Retrostil“ kommt uns entgegen.
Unser Kunden-Schwerpunkt liegt hier in Deutschland. Einige Kunden kommen aus Österreich und aus der Schweiz hinzu.
BVDM: Wir hoffen ja alle, dass sich unser Leben bald wieder „normalisiert“ und wir hoffen auch, dass auch Motorradmessen und -events wieder stattfinden werden. Welche Messen/Events habt Ihr den in Eurem Planungshorizont? Wo wird man Euch finden?
Alexander: Im Visier haben wir 2022 die „Meet the Makers“ in München; „Rock & Hock“ in Friedrichshafen sowie die Custom Bike Show in Bad Salzuflen. Und, ganz besonders, „Glemseck 101“. Am „Glemseck 101“ teilnehmen zu dürfen ist eine Ehre, um eine Präsentation dort muss man sich regelrecht bewerben.
Ja und dann nehmen wir an diversen Clubausfahrten teil und veranstalten hier vor Ort, am 30. April, ein Biker-Frühstück.
BVDM: Unternehmer sein ist ja eine sehr arbeits- und zeitintensive Angelegenheit. Habt Ihr eigentlich noch Zeit zum Motorradfahren?
Daniela: Derzeit leider so gut wie nicht.
Alexander: Ja, etwa 3000 Kilometer im Jahr.
Hinweis des Autors:
Dieser Artikel ist ein Schlaglicht auf die Bemühung eine historische „Kult-Marke" wieder zu beleben. Der Elefantenboy und die Lederkleidung der Marke „HARRO" wurde intensiv begutachtet und vor dem Hintergrund der persönlichen, über 45-jährigen Motorraderfahrung, eingeschätzt. Selbstverständlich ist es kein Qualitätstest nach den harten und objektiven Kriterien eines technischen Labors. Es ist ein Erlebnisbericht, auf Basis der spürbaren Begeisterung für den Wagemut zweier Unternehmer und für die Wiederbelebung einer geliebten historischen Marke.
„Die RENNWESTE“ findet man mit umfangreichem Angebot im Internet unter https://www.rennweste.de/
Oder man fährt am besten einfach mal vorbei: 72229 Rohrdorf, Kämmerle 12, Telefon: +49 (0)7452 633 9253