Die Himalayan vor einer Weltkugel.
Es ist schon eine ganze Weile her, dass wir Motorräder getestet und in der Ballhupe darüber berichtet haben. Da kam das Angebot gerade recht, zwei Royal Enfield, eine Himalayan 450 und eine Interceptor 650 zu testen. Unsere Basisstation für den Test war der Bohrerhof in Hartheim am Rhein, der uns eingeladen hatte. Er will auch Motorradfahrer verstärkt als Zielgruppe akquirieren und bietet dazu nach unserem Eindruck gute Voraussetzungen. Der Schwarzwald liegt vor der Türe und die Vogesen sind ebenfalls schnell erreicht, Kurvenspaß in Hülle und Fülle gibt es also in wenigen Kilometern Entfernung. Einen herzlichen Dank an das Team vom Bohrerhof für die Gastfreundschaft und an Royal Enfield für die beiden Testmaschinen. Gerne hätten wir neben der neuen Himalayan eine Guerilla oder die Scram 411 getestet, die standen aber leider nicht zur Verfügung, und so diente die Interceptor mit ihrem Zweizylinder und 47 PS mehr als Begleitfahrzeug, denn als Vergleichsobjekt. Der Test legt daher auch den Schwerpunkt auf die Himalayan.
Nach dem Abholen der beiden Maschinen in Hünxe am Niederrhein stand auf der Heimfahrt die erste Gewöhnung an die Maschinen an. Auf kleinen Straßen und mitten durch den dichten Verkehr des Ruhrgebiets ging es ins Bergische Land. Der Wechsel von den 175 PS und rund 250 Kilo Gewicht meiner eigenen Vierzylinder-Maschine auf die 47 PS der Interceptor, die aus ihren Zweizylinder 650 Kubikzentimeter schöpft, fällt leichter als erwartet. Die Erwartungen an die Fahrleistungen waren nicht hoch, die ersten Kilometer sind aber eine positive Überraschung, es geht zügiger voran als gedacht. Die Sitzposition ist ziemlich aufrecht, der breite Lenker liegt gut in der Hand, der Kniewinkel ist entspannt, der Knieschluss zum Tank passt.
Bei jedem Stopp kommen wir schnell ins Gespräch, die Interceptor mit ihrem Retro-Look mit Chrom-Tank, dicken Auspuffrohren, Chromdeckeln am Motor, Chrom am Scheinwerfer, den Blinkern und bei den Spiegeln, Speichenrädern und den Blenden über der Einspritzung, die an Vergaser erinnern sollen, ist ein Hingucker. Nicht jeder erkennt auf den ersten Blick, dass es sich um eine neue Maschine handelt, manche glauben, dass es ein Oldtimer ist. Die Marke Royal Enfield ist vielen gar nicht bekannt, auch mancher Motorradfahrer kann mit dem Namen nichts anfangen.
Fotostopp und Besprechung für die Videoaufnahmen. Foto: Lenzen
Die Himalayan kommt als rustikale Enduro daher, die ab Werk massive Bügel am Tank zum Befestigen von Taschen bietet. Über das Design kann man sicher streiten, aber das ist bei einigen Enduros so. Die Maschine wiegt fahrfertig weniger als 200 Kilo, holt aus ihrem Einzylinder mit 450 Kubikzentimeter 40 PS, der Tank fasst 17 Liter. Es gibt unterschiedliche Sitzhöhen, so dass die Maschine für die allermeisten Fahrerinnen und Fahrer passen sollte. Das Standgeräusch ist mit 90.5 dbA angegeben, die Maschine könnte durchaus leiser sein. Der Einzylinder erzeugt spürbare Vibrationen, die aber nie unangenehm werden. Ansonsten läuft der Motor sauber und überrascht mit einem erstaunlich geringen Verbrauch.
Die Ergonomie passt. Die Sitzbank ist in der Höhe einstellbar, vorne und hinten unterschiedlich, wenn gewünscht. Der Lenker liegt angenehm in der Hand. Die minimal einstellbare Hebelei funktioniert bei normal großen Händen gut. Anlasserschalter, Blinker, Hupe, alles an der richtigen Stelle. Eigentlich ein Moped zum „draufsetzen und losfahren“. wäre da nicht . . . aber dazu später mehr.
Auch auf Feldwegen macht die Enduro eine gute Figur. Foto: Lenzen
Das Fahrwerk passt auch auf schlechtem Untergrund. Die nicht einstellbare Gabel von Showa verrichtet ihren Dienst, beginnt nur ab und an etwas zu rumpeln. Alles in erträglichem Maß! Auch bei schlechter Wegstrecke schlägt sie nicht durch, beim kräftigen Anbremsen hat sie noch Reserven. Apropos Bremsen: die Einzelscheibe vorne hat auch nach einer längeren Kurvenhatz keine Schwächen gezeigt. Die bremst stabil die Fuhre ein und man hat jederzeit ein sicheres Gefühl.
Die Hinterhand macht was sie soll, ohne dabei an Bequemlichkeit zu verlieren. Die hintere Feder ist einstellbar. Die Schweißnähte des Verstellrings schaut man sich aber besser nicht so genau an.
Reifen? Ja, hat sie. Die Auslieferungsreifen sind Indische Ceat-Reifen. Sie funktionieren im Trockenen hervorragend, im Nassen zeigten sie bei runder Fahrweise keine Schwächen. Einmal rutschte es hinten etwas, aber das war beim Anbremsen und etwas provoziert. Mit den 40 PS der Himalayan sind sie nur schwer aus der Ruhe zu bringen. Es sind Semi-Enduroreifen. Gegebenenfalls würden aktuelle Conti Trail Attack oder Pirelli STR hier mehr Gefühl und Sicherheit vermitteln. Das wäre zu testen.
Die Maschine ist leicht und handlich und lässt sich leicht auch durch heftiges Kurvengeschlängel dirigieren. Foto: Lenzen
Was die Himalayan aber wirklich auszeichnet: Sie ist extrem handlich. Der Schwerpunkt ist relativ tief, die Sitzposition für eine Enduro niedrig und so präsentiert sich die Himalayan extrem wendig und willig in Kurven. Besonders enge Kehren machen richtig Spaß mit dem Motorrad.
Ein Einzylinder mit 450ccm und 40 PS läuft sauber und sparsam. Auf den von uns gefahrenen 1800 Kilometern kamen wir auf einen Verbrauch von 3,5 Litern, die aber nur durch unsere Autobahnhatz (fast durchgehend Tempo 120) auf dem Rückweg vom Schwarzwald zustande kamen. Im reinen Landstraßenbetrieb nahm sie sich 3,2 Liter im Durchschnitt. In Verbindung mit dem 17-Liter-Tank sind so lange Etappen möglich.
Die Leistung gibt der Motor sauber ab, er benötigt aber gewisse Drehzahlen, bevor man wirklich von Leistung sprechen kann. Die von mir erreichte Höchstgeschwindigkeit von 161 Km/h erreichte sie im roten Bereich bei 8000 Umdrehungen. Bis dahin dreht der Motor willig durch, aber eben den 40 PS entsprechend. Es ist nicht wirklich ein Spurt, eher ein Herantasten. Die ganze Fuhre bleibt auch bei 160 stabil, trotz Gepäckrolle und einem nicht untergewichtigen Fahrer. Kein Wackeln, nichts. Sie bleibt stoisch ruhig.
Bei niedrigen Drehzahlen hackt die Kette extrem, weswegen man nach kurzer Zeit fast immer in einem höheren Drehzahlbereich unterwegs ist, als von der Kraft und dem Drehmoment eigentlich notwendig wäre. Apropos Drehmoment: Nicht zu viel erwarten. Er bollert und hackt, aber viel passiert durch den geringen Hubraum nicht wirklich. Auch deswegen sind immer höhere Drehzahlen gefragt, will man aus Kurven entsprechend herausbeschleunigen.
Der Seitenständer: man muss ihn schon mit Schwung betätigen, damit er allein in den ausgeklappten Zustand springt, weil man mit dem Bein nicht an der Fußraste vorbeikommt, ohne von dem Betätigungsstift abzurutschen. Nervt auf Dauer.
Die Bedienung der Kartennavigation und überhaupt der digitalen Anzeige erfordert Geduld. Foto: Lenzen
Das Display ist ein rundes, voll digitales Anzeigeinstrument. Hier kann man zwischen zwei Modi wechseln, digital und analog. Im Analog-Modus erhält man ein Runddisplay mit einem Drehzahlmesser außen und dem Rest der Anzeige in der Mitte. Trip 1, 2 oder die anderen Informationen befinden sich im unteren Bereich.
Digital bedeutet: Zweigeteilt, oben ist der Platz für die Informationen (Trip 1 und 2) oder die eingebaute Navigation. Die Menüführung und Einstellungen sollen über einen Joystick-ähnlichen Schalter erfolgen. Sollen . . . denn hier gibt es ein Problem. Es ist ein Vier-Wege-Schalter verbaut, der keinerlei Haptik zurückgibt. Es gleicht einem extremen Geduldsspiel, bis man sich damit durch die Menüs gehangelt hat. Der Betätigungsdruck in die Mitte ist reine Glückssache, auch ohne Handschuhe. Auch die Menüführung ist nicht wirklich intuitiv zu nennen. Ohne die Anleitung ist man völlig aufgeschmissen.
Die von Royal Enfield angepriesene „weltweit erste vollständige Kartennavigation auf einem runden Display, entwickelt mit der Plattform von Google Maps“ ist ein Witz.
Die Schritte im Einzelnen:
1. Herunterladen der Royal Enfield App
2. Beim Starten der App: Registrieren bei RE, langes Warten auf die Bestätigungs-E-Mail.
3. Koppeln des Motorrades mit dem Smartphone. Nach langem Suchen in der Anleitung dann der Hinweis: WLAN verbinden, Passwort findet man im Menü (Achtung: hier hilft ein Geduldsspiel unendlich weiter . . .).
4. Die App startet mit einer Navigation, das aussieht wie Google Maps. Mitnichten kann man aber das Google Maps des Smartphones verwenden. Es muss über die RE-App stattfinden.
5.Gibt man nun eine Zieladresse ein, erscheint die Meldung „RE Prime, die Route zum Ziel konnte nicht berechnet werden“!
Insgesamt kann man sagen: gut gemeintes Gimmick, mehr auch nicht. Es mag am Benutzer liegen. Aber intuitive Bedienung geht anders. Zumindest die Kartendarstellung ist schick.
Viel Motorrad und Fahrspaß fürs Geld bietet die New Himalayan. Foto: Lenzen
Das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmt. Wenn Royal Enfield jetzt noch an den nervigen Kleinigkeiten feilt und diese lästigen Schalter austauscht, dann ist dieses Motorrad ein echter Bringer. Für verhältnismäßig kleines Geld (6440 Euro) gibt es viel Motorrad, das auch viel Spaß vermittelt. Zum Reisen ist die Himalayan definitiv geeignet. Für Fernreisen sind andere Federelemente zu empfehlen, aber für die Urlaubsreise ist sie bereit!
Und schick ist sie auch. Die goldenen Felgen sind ein Hingucker, das ausgefallene Design der Front muss man mögen. Beim Fahren sieht man es nicht. Aber es lassen sich überall Taschen verzurren. Und für die Reise eventuell wichtig: Ein USB-Stecker ist am Lenker ebenfalls vorhanden.
Bei jedem Stopp ist die Interceptor der Hingucker, die Himalayan wird weniger beachtet. Foto: Lenzen
Die Royal Enfield Interceptor 650, die wir in der Lightning-Edition testen konnten, trifft mit ihrem Chrom-Tank und dem Design im Retro-Style den Nerv der Motorradfahrer.
Egal, wo man anhält, man wird angesprochen. Während die Himalayan kaum beachtet wird, stehen jüngere und ältere vor dem Retro-Bike und meistens kommt die Frage: „Wie alt ist die Maschine?“ Die Antwort, dass es sich um ein neues Motorrad handelt, wird mit ungläubigen Blicken kommentiert. Man fährt einen nagelneuen Oldtimer, zumindest, was das Design betrifft. Ansonsten ist das Motorrad relativ modern. 45 PS in einem Zweizylinder, der dank einer Ausgleichswelle sehr laufruhig ist. Die 45 Pferdchen brauchen etwas, um sich zu versammeln und Galopp ist nicht die Paradedisziplin. Aber die Leistung reicht allemal aus, um zu cruisen und die Landschaft zu genießen. Auch in bergigen Abschnitten muss man nicht hinten anstehen.
Getragen wird die Interceptor von einem herkömmlichen Rahmen, mit für heutige Verhältnisse sehr dünnen Gabel-Standrohren, einer Einzel-Bremsscheibe vorne und zwei Federbeinen an der Hinterhand. Eine durchgehende Sitzbank, die recht schmal ist und eine niedrige Sitzhöhe offeriert, aber einigermaßen bequem ist.
Unterm Strich ist es ein ausgewachsenes Motorrad, das Spaß macht. Die Bedienung ist ebenfalls Oldstyle. Kupplungshebel und Bremse etwas Wischiwaschi, nicht knackig oder mit kurzen Wegen, eher wie „früher“. Das Fahrwerk ist bequem, hat aber wenig Reserven. Aber sie ist ja auch nicht zum Ballern gebaut, eher zum Cruisen.
Zwei Rundinstrumente unterstreichen den Classic-Style, allerdings mit einer integrierten LCD-Anzeige. Tageskilometer können über eine mittig zwischen den Instrumenten angebrachten Knopf zurückgestellt werden. Das ist aber echte Fummelei. Der Motor läuft sehr rund und harmonisch, passt zu den 45 PS. Das Getriebe ist etwas schwammig zu schalten, den Leerlauf zu finden kann im Stand zur Geduldsprobe werden.
Und der Twin ist handlich, aber nicht kippelig. Ein niedriger Schwerpunkt in Verbindung mit dem nicht zu breiten Lenker lässt das Handling spielerisch wirken. Allein der vorhandene Hauptständer erfordert echten Willen. Sie aufzubocken ist Arbeit! Da ist sie störrisch wie sonst ein Esel. Und der Seitenständer? Da verhält es sich wie bei der New Himalayan. Um diesen in seine ausgeklappte Position zu bringen, ist die Raste im Weg. Also nur mit viel Schwung!
Aufgefallen ist uns beim Test ein leichtes Shimmy bei Tempo 80 auf der Autobahn, das mit etwas festerem Zupacken direkt im Griff war und auch nur einen sehr engen Drehzahlbereich auftauchte. Der Verbrauch lag auf unserer Tour, die von vielen schönen kurvigen Strecken, einer längeren Autobahnetappe und leider viel Regen geprägt war, bei 3,6 Litern. In der Höchstgeschwindigkeit lag sie etwas unter der Himalayan. Und auch beim Fazit gilt für sie: Viel Motorrad für das Geld, fummelige Schalter und billige Hebeleien, aber letztlich kein echter Kritikpunkt, sondern für Retro-Fans, denen die Leistung ausreicht, eine echte Überlegung wert.
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