Worum geht es?

Ein Raunen und diverse Aufschreie gingen Mitte 2019 durch die Welt der deutschen Verkehrssicherheitsexperten. Das BMVI (Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur) informierte am 22.05.2019 die „Verbände" über den „Entwurf einer 14. Verordnung zur Änderung der Fahrerlaubnis-Verordnung und anderer straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften". Hinter dieser sperrigen Bezeichnung steckte der vereinfachte Zugang für Führerscheininhaber der Klasse B (Auto) - mit einer gewissen Erfahrung und einem Mindestalter - zur Nutzung von Krafträdern mit maximal 125 ccm Hubraum.

Trotz vieler Kritik, die sich vor allen auf das höhere Verletzungsrisiko von Kraftradfahrern bezog, wurde diese Verordnung zum 31.12.2019 umgesetzt. Ab 2020 gilt daher für Autoführerschein-Inhaber, um ein Kraftrad der Klasse A1 führen zu dürfen, müssen sie:

  • seit mindestens fünf Jahren die Fahrerlaubnisklasse B besitzen
  • das Mindestalter von 25 Jahren erreicht haben
  • eine theoretische und praktische Schulung im Umfang von mindestens 13,5 Zeitstunden (9 Unterrichtseinheiten zu 90 Minuten) absolviert haben, deren erfolgreicher Abschluss von einer Fahrlehrerin/einem Fahrlehrer bestätigt wurde

Sie müssen keine Prüfung absolvieren. Die Berechtigung wird durch die Eintragung der Schlüsselzahl 196 im Führerschein dokumentiert. Nach der Eintragung dürfen dann Krafträder (auch mit Beiwagen) mit einem Hubraum von bis zu 125 ccm und einer Motorleistung von nicht mehr als 11 kW (bei der das Verhältnis der Leistung zum Gewicht 0,1 kW/kg nicht übersteigt) geführt werden.

Mit der Eintragung dieser Schlüsselzahl wird jedoch keine Fahrerlaubnis der Klasse A1 erworben, so dass mit dieser Berechtigung z. B. die Erweiterung auf die Klasse A2 nach § 15 Absatz 3 FeV nicht möglich ist. Wichtig: Im Ausland dürfen mit mit dieser Berechtigung keine Leichtkrafträder gefahren werden.

Wie sieht es in der restlichen EU aus?

„Neu" ist diese Regelung nicht. Alle Inhaber eines Auto-Führerscheins, der vor dem 01.04.1980 ausgestellt wurde, dürfen schon lange solche Krafträder benutzen. Warum eigentlich nicht alle, die danach ihren Führerschein mit immer umfangreicheren Ausbildungsvorschriften gemacht haben? Diese Frage wurde nie beantwortet. Auch die 3. EU-Führerscheinrichtlinie vom 20.12.2006 (Richtlinie 2006/126/EG) und vorherige EU-Richtlinien ermöglichen es den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, das Führen von Krafträdern der Klasse A1 auch mit dem Besitz einer Fahrerlaubnis der Klasse B zu erlauben. Von dieser Möglichkeit hat Deutschland bis 2020, im Gegensatz zu fast allen anderen EU-Ländern, keinen Gebrauch gemacht. In großen europäischen Motorradmärkten wie Italien, Spanien, Frankreich oder UK ist dies schon lange gängige Praxis. Auch das Unfallgeschehen in diesen Ländern hat nicht zu einem Umdenken geführt. Es ist in diesem Punkt unauffällig. In Österreich wurde diese Regelung am 01.11.1997 in Kraft gesetzt und als Code 111 in den Führerschein eingetragen. Auch in Österreich sind mindestens sechs Fahrstunden obligatorisch. Innerhalb von zwei Jahren verdoppelte sich der Bestand an Krafträdern mit maximal 125 ccm. Natürlich stieg auch damit die Anzahl der Unfälle mit Personenschaden. Es zeigte sich aber auch, dass diese neu zugelassenen Fahrzeuge der Kategorie A1 vor allen im urbanen Verkehr genutzt werden. Roller erlebten einen regelrechten Boom. Wenn wir den Verkehr in Europa betrachten, findet schon heute 90 Prozent des gesamten Verkehrsaufkommens täglich in den urbanen Verkehrsräumen statt. Der gerade aufgrund der Geräuschentwicklung viel diskutierte Freizeitverkehr von Motorrädern macht dagegen weit weniger als ein Promille des jährlichen Verkehrsaufkommens aus.

Wo liegen die Vorteile der neuen Regelung?

  • Die 125er sind typische „Nutzfahrzeuge" fürs Fahren im Alltag. Jeder, der sein Auto stehen lässt und stattdessen mit einer 125er oder einem vergleichbaren Roller fährt, entlastet unsere Straßen. Weniger Stau, weniger Schadstoffemissionen, ...
  • Er schont zudem nachhaltig die Umwelt. Für den Bau und den Betrieb eines leichten Zweirades werden erheblich weniger Rohstoffe und Energie benötigt und verschwendet als für einen Pkw, der bei den meisten täglichen Fahrten auch nur von einer Person genutzt wird.
  • Ein Leichtkraftrad oder -roller ist eine preisgünstige Möglichkeit, um in die Elektromobilität einzusteigen. Deutlich günstiger als ein E-Auto und in der Stadt ohne Emissionen. Im täglichen Nutzverkehr ist auch die Reichweite kein Problem.
  • Und aktuell dazugekommen, wenn aufgrund der Entfernung Laufen oder Fahrradfahren nicht in Frage kommt: Das Ansteckungsrisiko mit dem Coronavirus ist bei Nutzung eines motorisierten Zweirades am geringsten. Geringer als im Auto und erst recht im ÖPNV. Man befindet sich immer in einem gut belüfteten Raum und durch das Tragen eines Helmes ist auch die Verbreitung möglicher Viren deutlich reduziert.
  • Die Neuregelung erleichtert den Einstieg zur Nutzung eines motorisierten Zweirads. Es fördert die Nutzung eines Motorrads als umweltfreundliche Alternative zur Nutzung eines Autos im täglichen Verkehr.
  • Aktuelle Zulassungszahlen belegen, dass diese Möglichkeit auf jeden Fall angenommen wird. Im Mai 2020 wurden in Deutschland 111 Prozent Leichtkraftroller mehr zugelassen als im gleichen Monat des Vorjahres. Bei den Leichtkrafträdern waren es 60 Prozent mehr. Die Gesamtzulassungen von Motorrädern in Deutschland sind von Januar bis Mai 2020, Corona bedingt, um 10 Prozent geringer ausgefallen. Leichtkrafträder (+22%) und Leichtkraftroller (+44%) konnten dagegen, trotz Corona, deutlich zulegen (Quelle: IVM Zulassungen 2020).

Wo liegen die Risiken der neuen Regelung?

  • Auf dem motorisierten Zweirad ist man nicht so gut geschützt wie in einem Auto. Die bestehende Infrastruktur ist zudem vor allem auf die Sicherheit des Autoverkehrs ausgerichtet. Häufig zum Nachteil von schwächeren Verkehrsteilnehmern wie Fußgängern, Fahrradfahrern oder Motorradfahrern. Wenn nun eine dieser schwächeren Gruppen stark wächst, ist zu erwarten, dass es auch mehr Unfälle mit Personenschaden geben wird (siehe die Entwicklung bei Fahrrädern mit elektrischer Unterstützung).
  • Mindestens 5 Jahre Erfahrung im Verkehr besagt nicht, dass man sich auch auf zwei Rädern sicher bewegen kann. Egal ob motorisiert oder per Muskelkraft angetrieben.

Der letzte Punkt wird sich mit den vorgesehenen Pflichtstunden aussortieren lassen. Zum ersten Punkt kann nur nochmals die Forderung an alle Verkehrs- und Mobilitätsplaner erfolgen, bei Planungen und Vorschlägen auch die Sicherheitsbedürfnisse von schwächeren Verkehrsteilnehmern zu berücksichtigen und den Gesetzgebern vorzulegen. Und persönlich an alle Verkehrssicherheitsexperten die vor dieser Regelung gewarnt haben: Das Verletzungsrisiko ist in einem dicken Käfig aus Stahl sicher am geringsten. Wenn alle diesen Käfig nutzen, haben wir zwar eine hohe „Sicherheit", aber praktisch auch keinen „Verkehr" mehr. Die zur Verfügung stehenden Verkehrsräume bieten nicht genügend Platz!

Fazit des Autors

Grundsätzlich hält der Verfasser dieses Berichts die Neuregelung für eine geeignete Regelung, um den innerstädtischen und urbanen Verkehr zu entlasten und die Umweltbelastung zu reduzieren. Er hält es aber auch für dringend erforderlich, bei zukünftigen Verkehrsplanungen die Bedürfnisse und Vorteile von motorisierten Zweirädern entsprechend zu berücksichtigen. In aktuellen Planungen gibt es unterhalb des Autos nur das Fahrrad, das motorisierte Zweirad wird nicht berücksichtigt.