Zur Europawahl analysiert der Bundesverband der Motorradfahrer (BVDM e.V.) das Wahlprogramm der Parteien, die voraussichtlich mehr als drei Prozent der Wählerstimmen erreichen können. Wie stellen sich die Parteien zur Zukunft der Mobilität, welche Rolle spielt dabei das Motorrad und wie siehen die Aussagen zur Verkehrspolitik aus, die auch das Motorradfahrern betreffen? Das sind einige der Aspekte, die der Autor untersucht hat.
Sicher, das Wahlprogramm der Parteien ist wie ein bunter Blumenstrauß, mit einer Vielzahl an Angeboten und Zielen. Mobilität, dazu individuelle Mobilität, ist nur ein Aspekt unter vielen. Es ist verständlich, dass die Mobilität nicht das einzige Entscheidungskriterium bei der Wahlentscheidung ist. Aber gerade weil das Motorrad für uns Motorradfahrer eine hohe emotionale Komponente hat, sind die Aussagen der Parteien zur Verkehrspolitik für Motorradfahrer vermutlich nicht unwichtig.
Die EU beeinflusst erheblich die Straßenverkehrs-Gesetzgebung der nationalen Staaten. Bereits im Dezember 2020 hat die EU ein Strategiepapier unter dem Namen veröffentlicht „Strategie für nachhaltige und intelligente Mobilität: Den Verkehr in Europa auf Zukunftskurs bringen“ (1) In diesem Papier werden Ziele mit erheblicher Tragweite auch für das Motorrad definiert, im Mittelpunkt steht das Thema Emission (Zitat): „Wir müssen die richtigen Anreize setzen, um den Übergang zu emissionsfreier Mobilität voranzutreiben. …… Diese Anreize sind in erster Linie wirtschaftlicher Art, nämlich CO₂ -Bepreisung, Besteuerung und Erhebung von Infrastrukturgebühren…“ (2). Vereinfacht ausgedrückt: Individuelle Mobilität, besonders mit dem Verbrenner-Motor, soll gezielt verteuert werden.
Der Bundeswahlausschuss hat in Deutschland 35 Parteien und Vereinigungen für die Europawahl am 9. Juni zugelassen. Wir betrachten die Wahlprogramme der Parteien, die Aussichten auf einen nennenswerten Wahlerfolg haben. Diesen definieren wir mit drei Prozent und mehr. Die aktuellsten Umfragen renommierter Forschungsinstitute (beide Ende April 2024) bieten ein etwas uneinheitliches Bild. Als stabil über drei Prozent zeigen sich die Parteien CDU/CSU, AfD, GRÜNE, SPD, BSW (Bündnis Sarah Wagenknecht) und FDP. Die Freien Wähler (FW) und die LINKE haben aktuell keine stabile Aussicht, drei Prozent oder mehr zu erreichen (3).
Um es vorweg zu nehmen: In keinem der Wahlprogramme wird das Motorrad wörtlich erwähnt. Allerdings, so werden wir sehen, gibt es eine Vielzahl von Implikationen auch für den Motorradfahrer.
Das Programm von CDU und CSU ist mit Abstand das kürzeste aller hier betrachteten Parteien, es passt auf „nur“ 25 Seiten. Das Thema Verkehr und Mobilität hat keine eigne Überschrift, es findet sich eingearbeitet auf den Seiten 14 und 16. Die CDU betont und fordert „Technologieoffenheit“ und bekennt sich wörtlich und ausdrücklich zum Verbrenner-Motor (Zitat): „Wir wollen das Verbrennerverbot wieder abschaffen und die deutsche Spitzentechnologie des Verbrennungsmotors erhalten und technologieoffen weiterentwickeln. Synthetische Kraftstoffe spielen dafür eine zentrale Rolle“ (4).
Diese Aussage hat eine direkte Implikation für das Motorrad. Würde der Verbrenner im Pkw-Segment abgeschafft, würde auch das Tankstellennetz radikal reduziert und die Benzinpreise zusätzlich extrem steigen. Denn die „economies of scale“ würden es nicht erlauben, für eine vergleichsweise kleine Zahl an Motorräder ein großes Tankstellennetz mit Treibstoff zu akzeptablen Marktpreisen zu betreiben.
Die CDU/CSU geht ebenfalls auf die Diskussion zum europäischen Führerscheinrecht ein, das in der EU noch nicht vollständig abgeschlossen ist. Dem Vorschlag, den Führerschein für Fahranfänger und ältere Menschen drastisch zu beschränken, wird eine Absage erteilt. (Zitat): „Mobilität ist individuelle Freiheit … Unser Ziel ist daher, die aktuelle Gültigkeitsdauer der Führerscheine beizubehalten. Wir lehnen die Einführung von medizinischen Tests für ältere Menschen ab.“ (5).
Die Grünen sprechen in ihrem Programm mehrfach von „Zukunftstechnologie“, der Begriff „Technologieoffenheit“ findet sich allerdings nicht. Der Schwerpunkt des Grünen- Mobilitätsprogramms liegt auf der Mobilitätswende. Zentrale Begriffe sind „Europas Verkehrswende voranbringen“ (6), diese soll unter anderem erreicht werden durch eine „Stärkung von Bahn- und Fahrradwirtschaft“ (6). Bezogen auf die individuelle Mobilität wird gefordert, eine „Antriebswende umsetzen“. Dies bedeutet, „komfortable Fortbewegung auch ohne eigenes Auto“. Zu alternativen Treibstoffen heißt es: „Im Straßenverkehr jedoch lehnen wir den Einsatz von E-Fuels ab. … Grünen Wasserstoff fördern wir im Straßenverkehr nur im Bereich der schweren Nutzfahrzeuge.“ (7)
Diese politischen Ziele, die für Pkw formuliert werden, bedeuten wohl das Aus für das Verbrenner-Motorrad. Und solange E-Motorräder aufgrund ihrer Reichweite überwiegend auf Kurzstrecken eingesetzt werden, auch das Aus für das Motorrad als „Fern-Reise-Mittel".
Angesprochen werden auch die Themen Sicherheit „Vision Zero für den Straßenverkehr, …, dass es keine Verkehrsunfälle mit Toten und Schwerverletzten mehr gibt.“ Und das Thema Lärm: „Wir setzen uns für ambitioniertere Reduktionsziele im Verkehr ein. Flugzeuge, Bahnen, Autos und Motorräder wollen wir stärker für die Gesundheit der Menschen in die Verantwortung nehmen“ (7).
Ähnlich wie bei den Grünen findet sich der Begriff „Technologieoffenheit“ im Wahlprogramm der SPD nicht. Auch der Verbrenner-Motor wird nicht erwähnt. Auch die SPD fordert eine Mobilitätswende. Wir „. . . leiten eine echte europäische Mobilitätswende ein. Dies erfordert eine Transformation in allen Verkehrsbereichen, einschließlich des Individualverkehrs, (und) des öffentlichen Verkehrs …“ (11). Der Gedanke der „sozialen Gerechtigkeit“ wird bei der angestrebten Mobilitätswende betont, damit (Zitat) „alle Bevölkerungsgruppen Zugang zu klimafreundlichen Verkehrslösungen haben und dass niemand aufgrund des sozialen Status oder Einkommens benachteiligt wird“. Allerdings soll dies primär durch preiswerten Zugang zu öffentlichen Verkehrsmitteln (Bus, Bahn) realisiert werden. (11)
„Die AfD unterstützt und fördert den motorisierten Individualverkehr als beliebteste und modernste Möglichkeit der Fortbewegung“ und … „lehnt ein generelles Tempolimit auf Bundesautobahnen strikt ab“ . Ebenso werden jegliche Restriktionen beim Führerschein abgelehnt. Im Gegenteil: Das begleitende, lernende Fahren von Jugendlichen ab 16 Jahren soll gefördert werden. Die Entscheidung zwischen Verbrenner-Motor und Elektro-Motor soll nicht durch Vorgaben, sondern durch den Markt (das Kaufverhalten) entschieden werden. Die Abschaffung des Verbrenners wird abgelehnt. (9) Besonders hervorgehoben wird (Zitat) „die Freiheit des Individualverkehrs als zivilisatorische Errungenschaft“. (10)
Die Partei BSW ist eine Neugründung, der prognostiziert wird, sieben Prozent der Wählerstimmen zu erreichen. Damit wird diese Partei die FDP, die Freien Wähler und die LINKE überflügeln.
Die Begriffe „Technologieoffenheit“ und „technische Innovation“ sind Schlüsselbegriffe in diesem Parteiprogramm, gefordert wird (Zitat): „Eine Klima-, Energie- und Technologiepolitik, die Treibhausgase im Verkehrssektor durch Einsparziele technologieoffen mindert (12). Es wird betont, „Wir wollen Klimapolitik und Umweltschutz durch technologische Innovation, öffentliche Förderung und vernünftige Anreize voranbringen und nicht durch eine Verteuerung des Lebens der Menschen oder die Zerstörung und Vertreibung von Schlüsselindustrien aus Europa.“. Folgerichtig wird ein Verbrenner-Verbot abgelehnt. „Statt Verbrenner-Autos zu verbieten, . . . wären Auflagen zur Entwicklung verbrauchsärmerer Modelle oder bezahlbarer klimaneutraler Brennstoffe die weit sinnvollere Strategie, zumal so der Fortbestand einer wichtigen heimischen Industrie mit einzigartigem Knowhow und hunderttausenden gut bezahlten Arbeitsplätzen gesichert werden könnte“. (13)
Die Freien Demokraten betonen den freien, offenen Wettbewerb der Technologien, um zu entscheiden, welche Energieform/ welche Art von Motoren „morgen“ unsere individuelle Mobilität antreiben sollen. (14) Dies gilt auch für „E-Fuels“. Ein Benzinersatz, der inzwischen auch in Motorradmotoren, auch älterer Baujahre, erfolgreich getestet wurde. MOTORRAD online berichtet: Eine BMW R 1250 GS mit E-Fuel betankt, hatte eine Kraftstoffersparnis von 2,5 Prozent im Vergleich zum Verbrauch der mit Super Plus 98 betankten R 1250 GS eingefahren. (15).
Die FDP fordert wörtlich: „Alternative Kraftstoffe, wie E-Fuels, sollen sowohl als Reinkraftstoff als auch als Beimischung zulässig sein. Denn Verbrennungsmotoren sind nicht per se klimaschädlich, sondern ihr Betrieb mit fossilen Kraftstoffen. Um die Flotte der weltweit über eine Milliarde Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor klimafreundlicher zu machen, setzen wir deshalb auf die Substituierung fossiler Kraftstoffe durch synthetische Kraftstoffe und auf das Bekenntnis zum Verbrennungsmotor als Teil der Mobilität der Menschen. Wir wollen Verbrennungsmotoren klimafreundlich machen, nicht verbieten“. (16)
Die künstliche, steigende Verteuerung des Treibstoffes, infolge steigender CO2-Bepreisung wird ebenso abgelehnt, wie CO2-Flottengrenzwerte: „Wir werden die Flottengrenzwerte ersatzlos abschaffen“. (17)
Die FDP sieht den „Führerschein als gelebte Freiheit“. Er ermögliche Mobilität, gerade im ländlichen Raum. „Daher wollen wir das Mindestalter zum Erwerb eines Pkw-Führerscheins senken und begleitetes Fahren bereits ab 16 Jahren ermöglichen“. Einschränkungen für Senioren durch verpflichtende regelmäßige Gesundheitstests werden abgelehnt, denn dies „diskriminiert ältere Menschen“. (18)
Die Parteien SPD und Grüne setzen auf eine Mobilitätswende zu Lasten der individuellen Mobilität, verbunden mit dem Ziel, den Verbrenner-Motor zu eliminieren, um die CO2-Belastung im Verkehrssektor zu senken.
Von Technologieoffenheit ist in den Parteiprogrammen bei beiden keine Rede, bzw sie wird nicht gewichtig in Betracht gezogen. Für das Motorrad bedeutet dies mittelfristig das „Aus“, zumindest als Fern-Reise-Mittel. Auch wenn dies von den GRÜNEN und der SPD nicht ausdrücklich angesprochen wird. Aber ohne Verbrenner-Pkw wird sich der Betrieb eine Tankstellenkette (die auch für E-Fuels nötig wäre) nicht rentieren.
CDU/CSU, BSW, AfD und FDP geben der technologischen Entwicklung eine Chance. Dies könnte den Verbrenner zukunftsfähig machen und so das Motorrad als Reise-Fahrzeug für den Fern-Tourismus erhalten.
Die im letzten 12 Monaten heftig geführte Diskussion innerhalb der EU und auch in Deutschland, in Bezug auf die von den Grünen im EU-Verkehrsausschuss drastisch geforderten Restriktionen in Bezug auf den Führerschein, sowohl bei den Fahranfänger, als auch bei älteren Menschen, hat dazu geführt, dass dies ausdrücklich von CDU/CSU, BSW, FDP und AfD abgelehnt wird. Insbesondere verpflichtende medizinische Tests für ältere Fahrer werden strikt abgelehnt.
Das Thema „Fahrzeuglärm“ wird ausschließlich von den Grünen thematisiert. Sie folgen hier dem Umweltbundesamt,das dieses Thema zu einem künftigen Schwerpunkt des Umweltschutzes erklärt hat.
Insbesondere dieser letzte Punkt ist für uns Motorradfahrer sehr relevant. Der BVDM fordert alle Bilker auf: Fahrt rücksichtsvoll, fahrt leise, insbesondere im Umfeld von Wohnbebauungen.
Nun habt Ihr Biker das letzte Wort: Am Sonntag, 9. Juni, an den Wahlurnen. Bitte geht wählen!
(1) https://eur-lex.europa.eu/resource.html?uri=cellar:5e601657-3b06-11eb-b27b-01aa75ed71a1.0003.02/DOC_1&format=PDF (Abgerufen 05.05.2024, 12:00 Uhr).
(3) Datenquelle Wahlumfrage EU-Wahl: https://www.wahlrecht.de/umfragen/europawahl.htm
(4) Wahlprogramm von CDU und CSU, Seite 14. Das Wahlprogramm findet sich hier: Das Wahlprogramm CDU/CSU
(5) Wahlprogramm von CDU und CSU, Seite 16.
(6) Wahlprogramm Bündnis 90/ DIE GRÜNEN: Das Wahlprogramm findet sich hier: Das Wahlprogramm DIE GRÜNEN
Siehe Seite Seite 30.
(7) Wahlprogramm Bündnis 90/ DIE GRÜNEN Seite 32
(8) Wahlprogramm der AfD, Seite 32/33. Das Wahlprogramm findet sich hier: Das Wahlprogramm der AfD
(9) Wahlprogramm der AfD, Seite 34
(10) Wahlprogramm der AfD, Seite 41
(11) Wahlprogramm der SPD, Seite 18. Das Wahlprogramm findet sich hier: Das Wahlprogramm der SPD
(12) Wahlprogramm der Partei BSW, Seite 10. Das Wahlprogramm findet sich hier: Das Wahlprogramm der BSW
(13) Wahlprogramm BSW, Seite 10.
(14) Wahlprogramm der FDP, Seite 8. Das Wahlprogramm findet sich hier: Das Wahlprogramm der FDP
(15) MOTORRAD online: https://www.motorradonline.de/ratgeber/motorrad-testet-e-fuel-repub-2/ (Abgerufen 04.05.2024, 17:44 Uhr).
(16) Wahlprogramm der FDP, Seite 19
(17) Wahlprogramm der FDP, Seite 18
(18) Wahlprogramm der FDP, Seite 19/20