Auspuffanlage
Der Verein „Silent Rider“ hat sich gegründet, um gezielt gegen übermäßigen Motorradlärm vorzugehen. Anwohner der betroffenen Ausflugsregionen in der Eifel kommen zu Wort und reagieren sehr emotional, wenn sie auf den Krach vor ihrer Haustür angesprochen werden. Motorradfahrer wiederum verstehen diese Worte als Diffamierung. Für die einen ist es Lärm und Krach, für die anderen Sound oder Performance – nur ein kommunikatives Missverständnis zwischen „Sender und Empfänger“?
Wir reden hier schlichtweg über Geräusche und deren Wahrnehmung, nicht mehr, aber auch nicht weniger. In der rein sachlichen Betrachtung ist es zweitrangig, welche Quelle für das Geräusch verantwortlich ist. Auch die Lautstärke spielt in der grundsätzlichen Betrachtung zunächst nur bedingt eine Rolle:
Der Sound einer Musik kann beispielsweise bei ganz normaler Zimmerlautstärke als Lärm, Krach und nervig oder als angenehm, rockig und ausdrucksstark empfunden werden. Das gilt auch für das Geräusch eines Motorrades, das sich allerdings etwas abseits der Zimmerlautstärke bewegt. Wie geht das? Liegt hier die eigentliche Problematik der mittlerweile umfassend geführten Lärmdiskussion? Geht es hier ausschließlich um Gefühle, um nicht messbare Faktoren im Einfluss auf die menschliche Seele?
Die Assoziation einer Rennmaschine: Geschwindigkeit und Lautstärke. Das Fahrzeug im Bild fährt 30 km/h und ist dabei leise, Bild: Heumann-Storp
Mit Emotionen kann man spielen, Phalanxen bilden, spalten, fördern, steuern oder blockieren. Man kann sie abseits rationaler Überlegungen nutzen und pushen, um Ziele zu erreichen. Und darin liegt die eigentliche Gefahr. Nichts ist manipulierbarer als eine emotionalisierte Gruppe.
„Cogito ergo sum“ (Ich denke, also bin ich) sagte einst René Descartes (1641) nach Zweifeln an der eigenen Erkenntnisfähigkeit. Wir sollten das Thema „Lärm“ rational aufbereiten, zumindest sollten wir es versuchen, um zu einer verwertbaren Erkenntnis zu kommen.
Ob wir etwas grundsätzlich als Lärm oder Sound empfinden, hängt zunächst einmal vom eigenen Lernverhalten, den Erfahrungen, erlernten Strukturen und Prägungen ab.
Lernverhalten hat seine Wurzeln in der Kindheit. Das ist nicht neu, nur muss man sich es in diesem Zusammenhang noch einmal vor Augen führen. Ein Erlebnis wird mit einer Emotion verknüpft und damit positiv oder negativ belegt. So werden Affinitäten oder Meideverhalten geschaffen. Derartige Lernstrukturen sind – da mit Emotionen verknüpft – nicht selten dauerhaft. Zumindest lassen sie sich nicht einfach wieder lösen und neu verknüpfen. Das menschliche Gehirn ist kein Computer, der sich umprogrammieren ließe. Wir verfügen leider nicht über einen Resetknopf. Oder sieht jemand unten einen entsprechenden Schalter?
Bildliche Darstellung der Bildung von Synapsen, Zeichnung aus Gesundheit.de
Was als Lärm und damit als störend empfunden wird, unterliegt grundsätzlich subjektiver Wahrnehmung.
Ist also alles nur Einbildung, eine Fiktion des Gehirns, fehlgesteuertes Lernverhalten? Keineswegs.
Damit sind wir mitten im Thema, ohne auch nur eine einzige Messung durchgeführt zu haben. Bevor wir uns über Grenzwerte und die Erfahrungen damit, über Bestimmungen aus der Straßenverkehrsordnung oder Lärmschutzverordnungen, über Klappensteuerung oder Sportauspuffanlagen unterhalten, reden wir zunächst einmal über die damit verbundenen Emotionen. Sie werden deutlich, wenn ein und dasselbe Geräusch beschrieben werden soll:
Zitate aus der Presse und sozialen Medien:
Die einen: „Radauvögel, Krachtüten, Krawallauspuffe, Umweltverschmutzer“ aber auch beleidigend, da mit Emotionen verbunden, „asoziales Pack, Rocker, Idioten, Raser, Schwachmaten, Umweltsäue…“ Die Liste ließe sich endlos fortsetzen.
Die anderen: „astreiner Sound, Musik in meinen Ohren, einmalig, so muss Moped, könnte ich ständig haben, das ist mein Leben…“, aber auch „alles andere ist für Schwuchteln, Muschis, die ticken nicht richtig, alte Säcke…“ Auch diese Beschreibungen bei identischem Fahrzeuggeräusch sind unendlich, und in ihren Spitzen genauso beleidigend.
Was wird an dieser Aufzählung profaner, aber sehr verfestigter Lebensäußerungen eigentlich deutlich? Im Umgang mit Verfechtern positiver oder negativer, emotionsgeladener Lebensäußerungen zum Thema „Fahrzeug- oder Motorradlärm“ ist behutsame Aufklärung angesagt. Konfrontation schürt wiederum Emotionen, die das eigene, negative Prägeverhalten verstärken. Einfach ausgedrückt:
Mit „Du bist ja verbohrt und bescheuert“ wird niemand zum offenen Gesprächspartner. Er hört gar nicht mehr zu. Hier liegt ein grundlegendes Problem jedweder Diskussion.
Die Frage ist also nicht nur, welche Grenzwerte eingehalten werden müssen und ab wann ein Geräusch, gleich welches, zur Schädigung der Gesundheit führt. Die Frage ist auch, wie baue ich grundsätzlich Emotionen ab, damit ich die Menschen mit diesen Sachthemen erreichen kann. Geht das überhaupt bei der hochgekochten und immer wieder angeheizten Diskussion?
Gottlob ja. Und da bin ich wieder beim eingangs erwähnten Zitat des Philosophen, Mathematikers und Naturwissenschaftlers Descartes. „Ich denke, also bin ich“… funktioniert allerdings nur unter Reduktion emotionaler Hindernisse. Man kann Emotionen nicht beseitigen, aber man kann ihren Einfluss reduzieren. „Cool down" ist das Maß der Dinge. Danach sind wir wieder erreichbar für Sachinformationen und können lernen, auch „umlernen". Das unterscheidet uns von allen anderen Säugetieren. Bei ihnen sind mit Emotionen verbundene Lernerfahrungen – soweit sie Lebens- und Überlebensängste ansprechen – unverrückbar.
Wie schwer die Umkehr verfestigter Erfahrungen auch beim Menschen sein kann, wird in der Spitze an Traumabehandlungen deutlich.
„Ein Trauma ist eine seelische Verletzung durch stark belastende Vorfälle"[1]. Was als stark belastend empfunden wird, ist durchaus individuell. Ein Trauma ist eine Krankheit. Gedanken an die das Trauma auslösenden Ereignisse können unter anderem zu Schweißausbrüchen, Angstzuständen oder Aggressionen führen. So weit zu den Spitzen seelischer Reaktionen.
Ein einzelner, zu lauter Motorradauspuff kann sicher kein Trauma auslösen. Aber was passiert bei einer immer wiederkehrenden, erheblichen Lärmbelastung, insbesondere zur Nachtzeit? In der Medizin spricht man vom akuten Lärmtrauma durch eine ständig zunehmende Lärmbelastung.[2]
Zur messbaren Komponente des Themas. Menschen, die über eine längere Zeit einem hohen Lärmpegel ausgesetzt sind, erkranken. Das ist objektiv feststellbar.
„Laut Definition des Bundesumweltministeriums ist Lärm jedes unerwünschte, laute Geräusch". Die Hörzellen im Inneren der Ohren empfangen die Schallwellen und verarbeiten sie zu Signalen, die im Gehirn bewertet werden. Hier erfolgt die Rückmeldung über eine positive oder negative Bewertung.
Welche Rolle spielt hierbei die Lautstärke der Lärmquelle? Wie wird sie gemessen? Die Messgröße heißt Schalldruck. Der angezeigte Messwert ist der Schalldruckpegel, der wiederum in Dezibel angegeben wird. Hinsichtlich des Schalldruckpegels gibt es Messgrößen, bei denen bestimmte Auswirkungen nachgewiesen wurden.
Geräusche mit einer Lautstärke von
40 – 65 Dezibel gelten als normal und angenehm,
80 Dezibel werden als laut empfunden,
über 85 Dezibel können das Gehör schädigen,
120 Dezibel und mehr erzeugen Schmerzen,
aber bereits ab 25 Dezibel können sie zu Schlaf- oder Konzentrationsstörungen führen.
Eine Dauerbelastung von 65 Dezibel birgt ein erhöhtes Gesundheitsrisiko mit Veränderungen des Stoffwechsels, des Hormonhaushalts und der Gehirnstromaktivität. Langfristig können zu hoher Blutdruck oder Herzinfarkte die Folge sein.[4]
Zurück zur subjektiven Komponente. Das alles gilt nur bei unerwünscht lauten Geräuschen, nicht bei denen, zu denen eine besondere Affinität besteht. Ein Geräusch wird also zum Lärm, wenn es bewusst oder unbewusst stört und damit das Wohlempfinden beeinträchtigt. Lautstärke, Art und subjektive Bewertung greifen also ineinander und spielen in den späteren Auswirkungen eine große Rolle.
Allerdings sei hier gesagt: ständig mit dem Ohr am 120 Dezibel lauten Akrapovic-Auspuff ist nur kurzfristig schön und dann auch schädigend. Alles hat Grenzen.
Wenn wir wissen, dass Lärm, Krach oder Sound eine rein subjektive Bewertung darstellen, und auch die medizinischen Auswirkungen dieser Geräusche auf den menschlichen Körper sich je nach subjektiver Bewertung als schädigend oder nicht darstellen, ergibt sich die Frage, wie der Gesetzgeber diesen wechselnden, subjektiv geprägten Umständen Rechnung trägt. Schließlich kann er nicht hinnehmen, dass seine Bürger lärmbedingt erkranken. Er kann aber auch nicht hinnehmen, dass eine ganze Gruppe von Fahrzeugführern nur auf Grund subjektiver Wertungen stigmatisiert wird. Es gibt leichtere Aufgaben der Problembewältigung.
Zu diesem Thema hat sich Michael Wilczynski, zweiter Vorsitzender des BVDM und Referent für Streckensperrungen, seine Gedanken gemacht:
Zu laut oder nicht zu laut …Renntrimm auf der Rennstrecke, Bild Heumann-Storp
Die Straßenverkehrsordnung regelt das Miteinander im Straßenverkehr. Hier wird auch subjektiven Komponenten Rechnung getragen.
§ 1
Grundregeln
(1) Die Teilnahme am Straßenverkehr erfordert ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht.
(2) Wer am Verkehr teilnimmt hat sich so zu verhalten, dass kein anderer geschädigt, gefährdet oder
mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird.
§ 30 Umweltschutz, Sonn- und Feiertagsfahrverbot
(1) Bei der Benutzung von Fahrzeugen sind unnötiger Lärm und vermeidbare
Abgasbelästigungen verboten. Es ist insbesondere verboten, Fahrzeugmotoren unnötig laufen
zu lassen und Fahrzeugtüren übermäßig laut zu schließen. Unnützes Hin- und Herfahren ist
innerhalb geschlossener Ortschaften verboten, wenn Andere dadurch belästigt werden.
In beiden Bestimmungen wird persönlichen Wertungen Rechnung getragen, soweit sie normierbar sind. Aus dem Gebot der gegenseitigen Rücksicht ergibt sich u. a. das Verbot, andere mit seinem Fahrbetrieb zu belästigen. § 30 STVO verbietet unnötigen Lärm.
Zu jeder Bestimmung gibt es auch eine Verwaltungsvorschrift. Die Frage ist, ob diese Verwaltungsvorschrift Erleuchtung bringt. Hinsicht der Grundregeln aus § 1 findet sich dort nichts, was in dieser Frage weiterführt.
Besser ist da schon die Verwaltungsvorschrift zu § 30 STVO[5]. Sie definiert in einigen Fallbeispielen, was als unnötiger Lärm zu werden ist:
Zu Absatz 1 Unnötiger Lärm wird auch verursacht durch
Vermeidbare Abgasbelästigungen treten vor allem bei den in Nummer 1 bis 3 aufgeführten Ursachen auf… |
Und was ist die Folge, wenn ich mit nahezu Wheelie Geschwindigkeit beschleunige, dann stark abbremsen muss, um wiederum mit aufheulendem Motor davon zu jagen? Verstöße gegen die Straßenverkehrsordnung sind im Bußgeldkatalog erfasst. Die Folgen werden hier festgeschrieben, damit Polizei- und Ordnungsbehörden auch wissen, was wie teuer sein darf. Umweltsünder kommen hier vergleichsweise günstig weg:
Es sind kaum Bußgeldbestimmungen zum Lärm zu finden. Maximal 10 bis 30 €uro dürfen dem Krawallmacher in Rechnung gestellt werden. Es sei denn, der Lärm ist Folge einer unzulässigen technischen Veränderung. Die reine Lärmproduktion gilt als Kavaliersdelikt. Und das vor dem Hintergrund der medizinischen Folgen, die erhebliche Lärmbelästigungen nach sich ziehen können.
Laut den Bestimmungen der EU dürfen neue Fahrzeuge grundsätzlich nur noch 74 Dezibel (db/a) produzieren.
Dieser Spitzenwert liegt oberhalb des als angenehm empfundenen Geräusches, allerdings unterhalb der Schwelle des Unangenehmen.
Die EU-Bestimmungen enthalten Schlupflöcher. Dies wird deutlich an den Bestimmungen zu Lärmemissionen der PKW.
Die EU teilt Pkw in verschiedene Klassen ein. Nur Autos mit maximal 120 Kilowatt (163 PS) pro Tonne Gewicht müssen die strengen Lärmvorschriften einhalten. Ab dem 1. Juli 2016 gilt der Grenzwert von 72 Dezibel, vier Jahre später 70 Dezibel. Am 1. Juli 2024 sind sie mit maximal 68 Dezibel die leisesten Autos.
Diese Termine sind vorerst nur für die Hersteller relevant. Sie beziehen sich auf die Typgenehmigung von komplett neuen Fahrzeug-Generationen. Die Phasen zwei und drei sind für Neuwagen mit einer Erstzulassung ab dem 1. Juli 2022 bzw. dem 1. Juli 2026 vorgeschrieben. Für alle älteren Fahrzeuge besteht Bestandschutz, bei ihnen ändert sich nichts.
Mit der Motorleistung darf die Lautstärke steigen. Bei 120 bis 160 kW (163 bis 218 PS) pro Tonne Leergewicht steigt der Grenzwert um jeweils ein Dezibel. In dieser Klasse fahren sportliche Kompaktwagen und flinke Mittelklasse-Limousinen. Fahrzeuge mit mindestens 160 Kilowatt pro 1000 Kilogramm Gewicht haben zwei weitere Dezibel Spielraum. Zu ihnen gehören die schnellsten Mittel-und Oberklasse Fahrzeuge, zum Beispiel Mercedes E63 AMG und Audi RS6.
Die erste Stufe der neuen Richtlinien gilt für Fahrzeuge, die Hersteller nach dem 1. Juli 2016 erstmals prüfen lassen.
Sportwagen mit mehr als 200 kW (272 PS) pro Tonne Leergewicht, höchstens vier Sitzplätzen und einem niedrigen Fahrersitz dürfen in Phase zwei und drei ein zusätzliches Dezibel lauter fahren. Die lautesten Autos werden also erst ab 2026 leiser – und zwar um drei Dezibel.
Und wie wirkt sich das auf das menschliche Gehör aus? Wir nehmen eine Senkung um zehn Dezibel als Halbierung der Lautstärke wahr. Eine Veränderung um drei Dezibel können wir zumindest erkennen. Wir merken also, dass das Fahrzeug leiser ist. Das funktioniert aber wohl nur im direkten Vergleich, der in der Praxis ausgeschlossen sein dürfte. Ob wir uns bei etwas weniger Krach wohler fühlen, steht auf einem ganz anderen Blatt.
Für Klappen- und Sportauspuffanlagen gilt dieselbe Regel wie bisher: Sie dürfen die vorgegebenen Grenzwerte nicht überschreiten. In elf Jahren werden neue Sportwagen also etwas leiser. Dafür haben die Hersteller aber längst eine Lösung parat.
Ein Porsche-Sprecher sagte auf Nachfrage von MOTORTALK, dass aufgrund des neuen Gesetzes zwar der Pegel gesenkt werde, das jedoch auf die Klangzusammensetzung kaum einen Einfluss habe. Kurz: „Der Ton macht die Musik, nicht die Lautstärke."[6]
Es geht hier keineswegs darum, Lärm von Pkw gegenüber dem von Motorrädern aufzurechnen, um damit irgendeine, populistisch gefärbte Aussage zu generieren. Krach ist Krach und bleibt Krach, dabei ist es völlig gleichgültig, welches Fahrzeug ihn verursacht. Und eine weitere Bemerkung sei an dieser Stelle erlaubt: Auch Motorradfahrer empfinden übermäßigen Lärm von Motorrädern nicht als angenehm oder wohltuend, sondern als Belästigung. Sie unterscheiden sich da nicht von den genervten Anwohnern im Bereich einer Schaukurve. In der Häufigkeit und Penetranz wird auch guter Sound zum Krach.
Seit einigen Jahren beschäftigen wir uns immer stärker mit dem Thema Lärm in Bezug auf Streckensperrungen. Bisher wurde zwar keine Straße für Motorradfahrer nur wegen des Geräuschpegels gesperrt. Aber die unbotmäßige Lärmbelästigung durch zu laute oder zu laut betriebene Motorräder spielt eine große Rolle und emotionalisiert.
Dass das Thema Streckensperrungen und Lärm auch durch die Presse aufgegriffen wird, ist beim immer intensiver diskutierten Thema „Verkehrslärm" zwangsläufig. In den Monaten März bis Oktober vergeht kaum ein Tag, ohne dass Printmedien der lokalen Presse, insbesondere in den betroffenen Regionen, über rasende lärmende Biker berichten. Dass hier auch Emotionen geschürt werden, liegt auf der Hand und ist unvermeidlich.
Und was macht der Motorradfahrer, der nicht rast, keine Veränderungen an seinem Fahrzeug vorgenommen hat und sich im Straßenverkehr so verhält, dass es keinen Ekel erregt? Er wird stigmatisiert, mit in einen Topf geworfen und sieht sich den Emotionen derjenigen ausgeliefert, die verständlicherweise vom Krach, nicht vom Sound, mehr als genervt sind. Selbst das Herausziehen von Ohrstöpseln nach dem Abnehmen eines Helmes wird so gedeutet, als ob Motorradfahrer ihren eigenen Krach nicht mehr hören könnten. Emotionen verhindern rationale Denkprozesse.
Rein sachlich betrachtet hat das Tragen von Ohrstöpseln andere Gründe. Die Fahrer möchten einzig ihr Gehör schützen, da es unter einem Motorradhelm auf Grund der Windgeräusche sehr laut werden kann. Je nach Helmtyp oder Qualität und Alter des Helmes entstehen bei Tempo 100 km/h circa 85 db/a bis 100 db/a, mit zunehmender Geschwindigkeit z. B. auf Autobahnen auch mehr. Das sind Werte, die jedem Arbeitsmediziner oder Akustiker die Tränen in die Augen treiben würden.
Wie erklärt sich das Lärmempfinden von Bewohnern ländlicher Regionen? In der Regel sind die betroffenen Gegenden landschaftlich besonders reizvoll, nicht selten hügelig. In solchen Gebieten gibt es im Gegensatz zur Stadt oder Großstadt deutlich weniger Umgebungsgeräusche. Durch die Topografie der Täler und Berge wird jedes Geräusch früher und deutlicher wahrnehmbar und durch die ansonsten herrschende Stille an das menschliche Ohr herangetragen. Unter Berücksichtigung der subjektiven Komponente von als angenehm oder unangenehm gewerteten Geräuschen wird das normale Fahrgeräusch von Motorrädern hier schneller eingeordnet und bewertet als in einer insgesamt lauteren Umgebung, wo es weniger auffällt.
Wird die allgemeine Ruhe an Wochenenden bei schönem Wetter, wenn die Anwohner ihren Garten nutzen möchten, durch das permanente Fahrgeräusch von Motorrädern, die in großen Gruppen passieren, gestört, erhöht sich nicht nur die wahrgenommene, sondern auch die messbare Lautstärke:
Erzeugt ein Fahrzeug im Fahrbetrieb 80 db/a, dann ergeben sich bei zwei gleichen Fahrzeugen schon Werte von 83 db/a. Fahren zehn Fahrzeuge mit jeweils 80 db/a gleichzeitig an einer Stelle vorbei, erhalten wir einen Schallpegel von fast 90 db/a. Das stellt fast eine Verzehnfachung der Schallintensität dar.
Die Geräuschbelastung erhöht sich je nach Anzahl der passierenden Fahrzeuge. Bild: Heumann-Storp
Man kann also den Ärger der Anwohner verstehen und sollte das auch, um das eigene Fahrverhalten anzupassen und angemessen zu reagieren.
Sich innerhalb der erlaubten Grenzwerte und der gegenseitigen Rücksichtnahme bewegender Fahrzeuglärm gehört zu unserem Leben. Was definitiv nicht zu unserem Leben gehört, sind die negativen Auswüchse im Zusammenhang mit dem Betrieb von Kraftfahrzeugen. Manipulierte Auspuffanlagen, hochtouriges Fahren in niedrigen Gängen, unnötiges Beschleunigen und vieles mehr gilt es deutlich mehr und höher als bisher zu sanktionieren, damit die große Anzahl derjenigen Motorradfahrer, die sich so verhalten, dass es eben keinen Ekel erregt, nicht in denselben Topf mit den schwarzen Schafen geworfen werden. Hier ist neben jedem einzelnen auch der Gesetz- und Verordnungsgeber gefragt.
Der Bundesverband der Motorradfahrer ist Mitglied im Verein der eingangs erwähnten „Silent Rider". Umwelt geht uns alle an, auch uns Motorradfahrer.
Was ist abseits utopischer Forderungen machbar, um Geräuschemissionen durch den Straßenverkehr zu senken. Auch hier schafft das Umweltbundesamt Denkanreize, die sich zum einen an das vernünftige Fahrverhalten der Fahrzeugführer, zum andern an die Industrie wenden.
Insbesondere bei den Fahrgeräuschen von Lkw lassen sich Grenzwertminderungen im Fahrbetrieb von bis zu 5 Dezibel erreichen, was erheblich ist. Auch Geschwindigkeitsbegrenzungen, lärmmindernde Fahrbahnbeläge und Emissionsgrenzwerte für Reifen führen zu einer Verbesserung der Umweltbilanz.[7]
Eine mehr als interessante Studie des Umweltbundesamtes zum Thema Elektroautos soll hier nicht unerwähnt bleiben.[8]
Zitat: „Tatsächlich verursachen E-Mobile aber viel mehr Krach als bisher angenommen." und … „Elektroautos können nicht pauschal als leise bezeichnet werden."
Dass die Stromer beim Antriebsgeräusch weniger lärmintensiv sind, wollen die Macher der Studie nicht bestreiten. Im Vergleich zu Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor seien sie bei Geschwindigkeiten bis zu 25 km/h „deutlich leiser". Weil mit steigendem Tempo jedoch das Abrollgeräusch der Reifen auf der Fahrbahn zunehme, würden sie bei höheren Geschwindigkeiten vergleichbar laut sein wie herkömmliche Pkw…“[9]
Aber weiter im selben Bericht:
„Die Untersuchung ist trotzdem alles andere als ein Abgesang auf die Vorteile der Elektromobilität. Denn während die Hoffnungen des Umweltbundesamts auf leisere Elektroautos nur gering sind, setzt sie umso mehr Erwartungen in elektronisch angetriebene öffentliche Busse – und vor allem auf Mopeds und Motorräder …"
Der BVDM hat immer darauf hingewiesen, dass Motorräder, auch Elektromotorräder und Roller, eine Alternative im urbanen Bereich darstellen und nicht nur als reines Freizeitmobil verstanden werden müssen. Gerade in der Stadt – im Gegensatz zu den Gegebenheiten auf dem Lande – spielt die begrenzte Reichweite von Elektrofahrzeugen nur eine untergeordnete Rolle.
Einen weiteren Aufsatz möchte ich im Zusammenhang mit der Diskussion um Lärm von Motorrädern nicht unerwähnt lassen. Es ist das „Verbraucherforum Motorradlärm". [10] Bereits 2010 haben sich Motorradfahrer, Lärmbetroffene und Vertreter aus Industrie und Wissenschaft, Technik und Verwaltung zum Thema Motorradlärm ausgetauscht. Es konnte trotz des breiten Spektrums der Beteiligten – für die Motorradfahrer saß die Biker Union im Boot – in wesentlichen Punkten Einigkeit erzielt werden. Man wandte sich gegen zu laute Endschalldämpfer und deren Manipulation. Wobei bei den Sanktionsmöglichkeiten der Gesetzgeber gefragt sei:
Interessant auch, dass alle Beteiligten in der Verschärfung von Geräuschgrenzwerten alleine keine Verbesserung sahen, solange die Verwendung zu lauter Endschalldämpfer nicht effektiv verhindert werden könne.
Soweit die Erkenntnisse aus dem Jahre 2010. Hat sich bis heute eine Verbesserung eingestellt?
Die Firma BMW kann beispielsweise nach wie vor ihre Fahrzeuge mit einem Klappenauspuff versehen, der einen besseren Sound ab einer bestimmten Geschwindigkeit erzeugen soll. Eine Nachfrage des BVDM bei der Firma nach dem Sinn dieser Klappe führte zu der Äußerung, dass der Kunde das so wolle. Auch ich bin BMW-Kunde – und ich will diesen Krach nicht. Nur hat mich niemand gefragt. Das gilt auch für viele andere BMW-Fahrer, mit denen ich gesprochen habe. Man wertet – wie oft im Leben – offenbar immer nur das, was man werten will. Und der Kundenwunsch ist ein Totschlagargument.
Dieser Aufsatz soll zur Diskussion anregen. Wer sich darüber hinaus über Grenzwerte und Einzelheiten zum Thema „Lärm" informieren will, dem sei die Ballhupe 1/2015 https://bvdm.de/aktivitaeten-und-fahrspass/ballhupe/dokumente/Ballhupe-2015_1.pdf ans Herz gelegt. Olaf Biethan, zweiter Vorsitzender des BVDM, hat sich dort ausführlich zum Thema geäußert. Weitere Abhandlungen zum Thema Lärm finden sich in den Ballhupen 2/1990, 3-4/1993, 2-3/2014, 2-4/2015, 2/2016 und 1-2/2017. Das Thema beschäftigt den BVDM schon seit 30 Jahren, es war, ist und bleibt aktuell.
Günter Heumann-Storp, Michael Wilczynski
[1] Allgemein anerkannte Definition des Traumas
[2] Aus „Mini med Studium“
[3] Siehe auch Umweltbundesamt zum Straßenverkehrslärm
[4] Quelle Bundesumweltministerium, Berichterstattung NDR „Was ist Lärm und warum macht er krank?“
[5] Die Bundesregierung, Juris, Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrsordnung (VwV-StVO)
[6] Quelle: https://www.motor-talk.de/news/die-sound-taste-bleibt-t5282750.html
[7] Umweltbundesamt zum Straßenverkehrslärm
[8] Umweltbundesamt Studie „Krachmacher Elektroauto“
[9] Quelle Bericht zur Studie des Umweltbundesamtes, veröffentlicht und eingestellt beim Umweltbundesamt
[10] Nachfolgende Angaben aus dem Schriftsatz des Verbraucherforums zum Motorradlärm, eingestellt beim Umweltbundesamt